Ernst-Wilh. Möbius,

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den 7. Oktober 1999, Oktober 17, 2004

 

 

 

 

 

 

Einige Funktionsprinzipien

der Menschheit

Ein Lehrbuch der Hierarchie






Inhalt





Wie ist die Vorgehensweise und was wird behandelt?

 

1.       Es werden die Formen der Hierarchie, “das Enthaltensein im Enthaltensein”, die “Hierarchie der Ränge” und die “dynamische Hierarchie” gegeneinander sowie gegen “Dominanz” und “Heterarchie” abgesetzt. Die dynamische Hierarchie, wie sie beispielhaft auf dem Weg von der Information zur Aktion bzw. vom Befehl zur Ausführung abläuft, bildet den Ausgangspunkt der weiteren Untersuchungen. Hierarchie - nicht als Ritual, sondern als Struktur - wird als Form der Steuerung jedes gemeinsamen Tuns dargestellt.

 

2.       Die Entstehung der mehrstufigen sozialen Hierarchie im Laufe des Neolithikums wird als wesentlicher organisatorischer und folgenreicher Bestandteil der neolithischen Revolution angesehen. Erst sie vollendete Bewässerung, Vorratswirtschaft und Krieg. In Form der Globalisierung umfaßt sie heute die Steuerung und Fehlsteuerung aller irdischen Ressourcenströme.

 

3.       Die Kräfte der Konzentration und Zentralisation (auch i.S. von Marx), die unabhängig von allen persönlichen, psychologischen und massenpsychologischen Gegebenheiten Ungleichheit produzieren und verstärken, werden als ein Moment allgemeiner, aus der Struktur der Hierarchie sich ergebenden hierarchie-konturierender Tendenzen gezeigt. M.a.W. bedarf es weder der Verderbnis noch der Verblendung, sondern nur des Wachstums um die Ungerechtigkeit der Welt zu fördern.

 

4.        Eine Begrifflichkeit wird verwandt (wie zB “Organisationsgrad”, “Ressourcenstrom”), die nach Möglichkeit alle gesellschaftlichen Systeme miteinander verbindet.

 

 

 

5.       Der direkte, kausale Zusammenhang zwischen relativer Dichte, Ressourcenstrom und Organisationsgrad, der alle gesellschaftliche Bewegung steuert, wird hergestellt. “Relative Dichte” heißt dabei nicht nur, daß die absolute Dichte (z.B. Menschen pro Quadratkilometer) bezogen wird auf die materiellen Ressourcen, sondern auch auf nichtmaterielle, wie Gestaltbarkeit, Bedrohung, Sicherheit und Alternativen. Damit werden die strukturellen Momente Dichte, Organisationsgrad und Ressourcenstrom verknüpft mit den psychologischen, wie Angst, Zufriedenheit, Aggression. Diese haben entsprechende Reaktionen zur Folge - soziale jedoch nur dort, wo im Sinne einer Gleichrichtung hierarchische Steuerung ermöglicht wird. Dieser Zusammenhang ist es, der, angetrieben von der Verdichtung, über Wohl und Wehe der Menschen, über Krieg, Versorgung, Kontaminierung, Gesundheit und Seuchen entscheidet. Auf einem Teilgebiet, nämlich der Abhängigkeit zwischen Ressourcen und Gewalt, tummelt sich bereits auch die Wissenschaft (Homer-Dixon, Ohlsson...).

 

6.        Die Wirksamkeit, insbesondere die Lenkungsfunktion der abstrahierten Werte (Geld, Aktien etc.) wird als mehrstufige Hierarchie gezeigt. Die Werte als Treiber des Ressourcenstromes; als Voraussetzung dazu die durchgehende Abstraktion der Ressourcen von der Ware über das Geld bis zum Finanzderivat.... Nicht nur die Menge, sondern auch die hierarchische Verteilung als Voraussetzung ihres Wertes.

 

7.       Die Selbstkanalisierung des Individuums als Preis für die äußere Freiheit oder der Tribut des “Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit” an den Organisationsgrad. Tausch der Sklavenkette gegen internalisierte Ordnung.

 


 

 

 

 

 

 

 

Aus: “Umweltbericht der UN von 1999 :

0= unberührt; 100 = vollständig durch den Menschen geformt

 

 

 

 


 

 

          2.0     Vorbemerkung zu einigen Begriffen

 

Die reine Definition läßt niemanden einen Begriff begreifen; erst die vielfache Anwendung und der Gebrauch in seinen Zusammenhängen und Verbindungen installiert ihn so, daß er seine Leistungsfähigkeit entfalten kann. Wo es insbesondere um eine Art kybernetischer Wechselwirkung geht, ist man gezwungen, diese auf verschiedenen Stufen ihrer Klärung wiederholt zu gebrauchen. Oder andersherum: der Begriff klärt sich bei den Möglichkeiten unseres Lernapparates in dem Maße, in dem seine Wirkungen dargestellt und rückschließend sein Geltungsbereich konturiert werden. Daher sollte von einer vorläufigen Kurzbeschreibung ausgegangen werden, die sich mit der Herstellung weiterer Zusammenhänge allmählich verfestigt.

 

Die Menschheitsentwicklung wird also unter einige Begriffe gefaßt, die vorab wenigstens einer Schlaglicht-Definition bedürfen. Bis vor Kurzem war z.B. “Hierarchie” kaum in den soziologischen Lexika zu finden. Neuerdings gibt es im Zusammenhang mit den Klärungsversuchen betreffend den Begriff “Ordnung” Arbeiten, die sich mit dem Aufbau hierarchisch geordneter Bereiche befassen. Dabei werden jedoch vor allen Dingen die statischen Momente, wie die Schichten, die Elemente und deren Verbindungen behandelt. Für die schlichteren Gemüter gibt es Untersuchungen von schichtabhängiger Mimik und Gestik. Allgemein fehlt aber eine Darstellung jener Mechanik, die aus einem Befehl eine Aktion, aus einer Information eine Handlung macht. Soziologisch bleibt damit die Frage zu klären, wie eine Person oder ein Gedanke Millionen von Individuen erfassen und zu gemeinsamer Tat treiben kann. Psychologen haben zu diesem Zweck eine besondere Person erfunden - die Masse. Wollen sehen, wie die Individuen dazu werden.

 

Unlösbar davon ist eine Erscheinung, die seit Beginn der Überlieferung als “Ungerechtigkeit der Welt” beklagt wird. Es handelt sich um die Eigenschaft der Hierarchie, die gewissermaßen ihre eigene Kontur schärft, d.h. sie in der üblichen graphischen Darstellung als Kegel mittig einschnürt und spitz in die Höhe treibt. Sie, die Ungerechtigkeit trennt die Überflüssigen vom Überfluß, sie vermehrt Reichtum und Armut zugleich und ist für die Akkumulation nicht nur des Kapitals verantwortlich. Bestimmte Theorien führen dies auf verwerfliche menschliche Eigenarten, insbesondere das Besitzstreben, zurück. Da dasselbe jedoch auch in der großen Mehrheit und damit gegen die Konzentration wirkt, fragt sich, wieso die Minderheit dabei gewinnt. Offenbar ist ein strukturelles Moment zu untersuchen, das zB auch unter ausschließlich guten, sagen wir dem Gemeinwohl verpflichteten Menschen Ungleichheit produzieren würde. Sowohl der Sozialismus in seinem vergeblichen Kampf gegen sie als auch die Globalisierung als ihre höchste Ausprägung sind explosive (bzw. bereits explodierte) Belege für die hierarchiebildenden Kräfte.

 

Man sollte nicht vermuten, daß es mit diesen Kräften bei ihrem Bekanntheitsgrad überhaupt diskussionswürdige Schwierigkeiten gibt. Aber so gut sie im Alltag bekannt sind (“die Bank gewinnt”, “der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen”, “oben ist oben” usw) und in kurzfristiger Betrachtung berücksichtigt werden (“ohne Wachstum fallen wir in die Krise”), sowenig finden sie sich als ein Gesetz sozialer Veränderung formuliert. Noch hofft man ja und will weiter hoffen wie der gestresste Junkie, jederzeit damit, d.h. mit der Ungerechtigkeit und ihrer unablässigen Steigerung aufhören zu können.

 

 

 


 

2.1     Hierarchie des “Enthaltenseins” und der “Werte”

 

In der “Hierarchie der Begriffe” ist der Zusammenhang der hierarchisch geordneten Elemente (hier: der (Unter-) Begriffe und Vorstellungen) durch das “Enthaltensein” der unteren in den oberen gegeben. Sokrates ist ein Mensch und der Mensch ist ein Lebewesen. Sokrates gehört in den Kreis der Menschen, die Menschen in den umfassenderen der Lebewesen. Die Ordnung wird auch topologisch sichtbar: die Familie / das Haus ist in der Polis enthalten, die Polis in der Nation bzw. dem Land und die Nation in der Menschheit bzw. dem Globus. (Abb. 1.1) Footnote Aber die Polis ist der Familie (im Unterschied zur Verwaltung) nicht als ein Befehlshaber übergeordnet. Die Überordnung betriff nur den Begriff, allenfalls das topologische Umfassen oder Enthaltensein, jedoch weder den Rang noch die Steuerungsfunktion. Das Enthaltensein ist nicht das Moment der Hierarchie, das die gesellschaftlichen Wirkungen hervorbringt.

 

Ebensowenig ist es ein höhere Bewertung, die die niedere steuert. Das Gold hat keine Steuerungswirkung aufs Kupfer, die Tugend der Tapferkeit keine auf die weniger erhabene der Sparsamkeit.

 

 

2.2     Hierarchie als Funktion oder funktionierende Hierarchie

 

sei zunächst nur an einem Beispiel veranschaulicht. Verfolgt man den Gang von der Information zur Aktion bei der Entstehung einer Stampede, dann ist Ausgangspunkt die grasende Herde mit dem witternden Leittier. Das Leittier hat gelernt, was z.B. die Erscheinung “Raubtier im Gras” bedeutet und was darauf zu tun ist. Damit findet der von außen kommende Reiz “Raubtier...” durch Wahrnehmung Resonanz mit dem Gelernten. Es wird erkannt: das ist ein Raubtier. Oder so: eine raubtierähnliche Form auf der Netzhaut wird ins Gehirn geleitet und findet dort als ein elektrochemisches Muster Übereinstimmung mit einem zuvor gelernten Muster. Das Gelernte, das wegen seiner Dauerhaftigkeit besser “Maske” heißt, reicht ins motorische Nervensystem. Bei Resonanz initiiert es die zugehörige Reaktion: Feind wird mit Flucht beantwortet, Nahrung mit Essen, Beute mit Verfolgung...

 

Das Gelernte ist eine ziemlich feste Vorstellung vom Raubtier, die aber so vielseitig ist, daß sie es in verschiedenen Haltungen und Beleuchtungen zu identifizieren gestattet. Diese Vorstellung steht nicht isoliert da, sondern hat die bereits besprochenen kategorialen Verbindungen zu anderen Vorstellungen und Begriffen und vor allem endlich zum motorischen System. Über diese letztere Verbindung wird Energie zur plötzlichen Fluchtbewegung des Leittieres gelöst, weil die Übereinstimmung von Muster und Maske als Erkenntnis “da ist ein Raubtier” ins Bewußtsein dringt und die Reaktion einleitet. Die Herde wiederum hat gelernt, was diese Bewegung bedeutet. Damit wird auf der nächsten bzw. hier der untersten Hierarchiestufe die eigentliche Aktions-Energie frei, die die ganze Herde in Bewegung setzt. Auch im Soziologischen, beim Zusammenwirken von Befehl und Gehorsam findet sich dieses Muster - eine Information, die von einer Stelle ausgeht, wird in eine gerichtete Aktion Vieler umgesetzt.

 

Die “Hierarchie der Genese” besagt, daß es Schöpfer und Geschöpfe gibt. Die Schöpfer prägen - wie der Meister dem Werk - den Geschöpfen ihr Wesen auf. Sie bestimmen die Form der Geschöpfe. (“Emanation” bei Weippert 1932) Diese Hierarchieform läßt sich aus der Funktionshierarchie ableiten. Man muß nur den Akt der Hervorbringung als Reaktion erkennen und das Hervorgebrachte als das Ergebnis, das Zeichen dieses Aktes werten. Der Weg von der Information zur Aktion führt bei der Genese vom Schöpfer zum Geschöpf. D.h. daß das Hervorbringende, die Idee, der Meister, der Samen, die Mutter den höheren Rang erhält gegenüber den abgeleiteten Formen, den Werken, den Pflanzen, den Kindern, dem Hervorgebrachten. Das Ergebnis des Informationsprozesses ist nicht nur eine Veränderung zu Gunsten des betrachteten Bereichs, sondern seine Reproduktion.


 

2.3     “Ressourcenstrom”

 

soll kurz und vorläufig als die Bewegung aller materiellen Ressourcen durch den Menschen und letztlich als die Freisetzung von (Antriebs-) Energie, die alle anderen Ressourcen bewegt, definiert werden. Es ist also alles Ressourcenstrom, was z.B. durch Schornsteine und Auspuffrohre geht, was auf Lastwagen und durch Pipelines transportiert wird, was geerntet und geklärt, gewandelt, gefördert und verbraucht wird. Materialien und Energie werden aus Quellen geschöpft, entwertet (zB i.S. d. Entropie oder der Bekömmlichkeit) und in Senken abgegeben. Die Quellen sind dabei in der Regel endliche Lagerstätten und die einzige große Senke ist unsere Umwelt. Beide werden durch den Ressourcenstrom sowohl quantitativ als auch qualitativ beansprucht und entwertet. (Abb. 8)

 

Die Ressourcen selbst sind natürlich nicht nur auf Rohstoffe, Räume und Energie beschränkt. Subjektiv, als Folge des Verbrauchs werden die Änderungen der Immateriellen, wie Rang, Platz, Sicherheit, Alternativen, Freiheit, Gestaltbarkeit und Zukunft noch viel stärker wahrgenommen als die der materiellen. In Analogie zum Öl kann auch Sicherheit verbraucht und als Abfall zu Unsicherheit werden. Und was die gesellschaftlichen Folgen anbetrifft, führt der Mangel an Sicherheit noch schneller zum Krieg, als es der Mangel an irgendwelchen materiellen Ressourcen tut.

 

 

                                

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                      

 

 


 

Wenn der Terminus

          2.4     Organisationsgrad

erwähnt wird, ist er sowohl technisch als auch gesellschaftlich und psychisch gemeint. Er läßt sich (zB nach Riedl: “Ordnung des Lebendigen”) in etwa festmachen an der Zahl der Hierarchiestufen, der Stärke der Norm, der Anzahl von Interdependenzen, der Lust und Last des Tradierten und in der Technik zusätzlich durch Konturschärfe. Kontur ist naturwissenschaftlich gesprochen ein Gradient, der nach Schärfe oder Steilheit eines Übergangs (z.B. zwischen elektrischem Leiter und Nichtleiter) gemessen wird. Er beschreibt bezüglich der Fertigungstoleranzen den Unterschied zwischen Keule und Chip, zwischen hölzernem Wasserrohr und magnetischer Bündelung von Elementarteilchenströmen. In der Psyche erscheint er u.a. durch das Maß an Disziplinierung.

 

Der Organisationsgrad hat die Eigenschaft, die Effektivität oder Effizienz eines Bereiches bezügl. seines Erhalts, seiner Absichten und Zwecke zu erhöhen und, wenn er eine bestimmte Größe überschritten hat, sie durch seinen eigenen Erhaltungsaufwand wieder zu mindern. Eine der gravierendsten Folgen des gestiegenen Organisationsgrades ist die überproportionale Beschleunigung des Ressourcenstromes. Was früher der Mensch durch Handarbeit erzeugen mußte, geschieht heute durch die Lösung von Energie aus Lagerstätten (Marx: “Naturkräfte”). Diese ist wieder mechanisiert, d.h. durch Naturkräfte bewirkt, die weitere Ressourcen erfordern. Schließlich kann auch das, was man unter Schonung der Lager direkt oder über die Wasserkraft aus dem Energiestrom der Sonne abzweigt, nur mittels beträchtlicher Einrichtungen verwertet werden. Diese Einrichtungen erfordern wiederum einen Erhaltungsaufwand, der weitere Einrichtungen zur Folge hat usw...

 

Gehört Ungleichheit zum Organisationsgrad? Mancher findet etwas “ordentlicher”, das völlige Gleichheit darstellt. Es sieht ordentlicher aus, wenn Menschen in Reih und Glied aufgestellt und dazu noch uniformiert sind. Indessen ist eine solche homogene Masse ohne Lenkungsbevollmächtigte kaum zu bewegen und sei es, daß nur der Ausrufer fehlt. Für komplexere Bereiche, wie Firmen, Armeen oder Städte würde die gesamte Funktionsfähigkeit nicht nur leiden, sondern enden, wenn keine Steuerung und keine funktionale Teilung, also keine Ungleichheit möglich wäre. Die Steuerung verlangt hierarchisch unterscheidbare Stufen und funktionell getrennte Individuen oder Gruppen von ihnen. Ohne dies kann der Bereich weder seinen Zweck erfüllen noch seinen Erhalt sichern. So ist als höhere Ordnung, vom Resultat her beurteilt eher die zweckmäßige Vielfalt, als die kristalline Einfalt zu beurteilen. Immer eingedenk der Tatsache, daß Lenkung andererseits nicht stattfinden kann, ohne Einheitlichkeit, also Norm, in Bezug auf sie. Jetzt allerdings nicht als Gleichheit aller Individuen, sondern als Gleichheit aller Individuen einer Schicht. Bei aller individuellen Verschiedenheit ist z.B. unten die allgemeine Anerkennung der Bankemissionen oder des Führers der Werktätigen eine Voraussetzung jeder wirtschaftlichen Bewegung.

 

Die Natur hatte das Problem anläßlich der Einführung der Mehrzelligkeit zu lösen: der Zusammenschluß der Geißler zur Volvox verlangte die Koordination der Fortbewegungsorgane, da sie sonst nur gegeneinander gearbeitet hätten.

 

Wir haben fast ständig eine Zu- oder Abnahme von Ordnung. Im Allgemeinen nimmt sie allmählich zu und plötzlich ab. In der Gesellschaft bildet sich zunächst eine Steuerung und mit deren Institutionalisierung eine Verwaltung der Ressourcen, die infolge von Privilegien im Lauf der Entwicklung so umfangreich wird, daß sie selbst (die Verwaltung) wieder verwaltet werden muß. Und daß sie zweitens mehr Ressourcen verbraucht als befördert. Zunehmende Funktionen und Hierarchien behindern sich schließlich gegenseitig. Die Organisation, die das Problem der Produktion und Verteilung lösen sollte, wird selbst zum Problem.

 

 

          Bezüglich der

2.5     Dichte

als dem eigentlichen Antrieb von Organisationsgrad und Ressourcenstrom sind zu unterscheiden erstens die absolute Dichte, d.h. der übliche Wert von Einwohnern pro Flächeneinheit, dann die relative Dichte als Zahl der Menschen bezogen auf die o.g. Ressourcen (also auch die dort aufgezählten Abstrakten, wie z.B. die Zahl der Alternativen) und drittens die Verdichtung als der individuell am stärksten wahrgenommene Vorgang. Verdichtung ist Bevölkerungszunahme, ist vermehrtes Organisiert- und Ausgebeutetwerden, ist vor allem aber auch, bei Berücksichtigung der relativen Dichte, Ressourcenschwund. Letzterer wirkt auf die Individuen genauso wie die Verdichtung, indem er Angst und Aggression generiert und dadurch Gleichrichtung und Krieg ermöglicht. Die Verdichtung erweist sich als der gewaltigste Treiber des Fortschritts im Guten wie im Bösen.

Das Maximum an Elend wird sichtbar, wenn der Organisationsgrad der Verdichtung nicht folgt.

 

 

Dichte, Organisationsgrad und Ressourcenstrom haben sich seit dem Neolithikum in derart auffälliger Parallelität entwickelt, daß eine Suche nach kausalen Beziehungen zwischen ihnen sich lohnen wird. (Abb. siehe das Logo) Empirisch sind sie jedenfalls offensichtlich, wenn man sich nur die Kurven von Bevölkerung, Verwaltung und Verbrauch ansieht. Diese Beziehungen und die dazugehörigen eben vorgestellten Begriffe haben den Vorteil, daß sie nicht nur in bestimmten Epochen, sondern in allen wirken, die wir mit dem Begriff Menschheit verbinden. Über die materiellen und immateriellen Ressourcen sind bestimmte Momente der psychischen Verfaßtheit mit den Strukturmerkmalen Organisationsgrad und Dichte aufs engste verkettet. Damit ist weder die moralisch-kritische Sicht auf die Psyche noch die reine Strukturbetrachtung allein in der Lage, den Bewegungsmechanismus der Menschheit zu beschreiben. Zu untersuchen sind die Wechselwirkungen der Strukturmerkmale (Dichte, Ressourcenstrom und Organisationsgrad) sowohl untereinander als auch mit der menschlichen Psyche.

 

 

          2.6     Bereich

sei alles, was sonst als “Entität” angesprochen wird. Soziologisch geht es um wechselnde Gruppen von Individuen, die sich in je verschiedener Weise als zusammengehörig verstehen oder die von außen betrachtet, den Status der Zusammengehörigkeit erhalten. Dies kann beispielsweise durch Sprache oder temporär durch gemeinsame Gefährdung oder durch staatliche Ordnung initiiert sein, wobei sich die (gemeinsame) Moral als das Erhaltungs- und das Recht als das Bewegungsgesetz des Bereichs erweisen.

 


 

II. Struktur und Funktionsweise

der Hierarchie

 

 

 

Inhalt

 

1.0   Zielsetzung und Übersicht

 

2.0   Gemeinsame Merkmale der Hierarchie

        in verschiedenen Seinsformen

 

Zur Erinnerung:

 

Buch_2   Information als Wirkweise der Hierarchie

 

Buch_3   Hierarchie der Gesellschaften

 

Buch_4   Hierarchiebildende Kräfte,

                Psychologie der Hierarchie

 

Buch_5   Die Zusammenhänge und gegenseitigen

                Einflüsse von Ressourcenstrom,

                Organisationsgrad und Dichte

                und ihre Vermittlung über das

                Individuum

 

                                           

 

 


 

1.0   Zielsetzung und Übersicht

 

Hierarchie ist neben Norm und Interdependenz das gewichtigste Moment des Organisationsgrades. Mit dem folgenden Abschnitt sollen Aspekte des Hierarchiebegriffs geklärt und ausführlich behandelt werden, die bisher weniger Berücksichtigung in der Literatur fanden. Vorab geht es um die Abgrenzung zu ähnlich gebrauchten und häufig damit verwechselten Begriffen; es geht dann um die Struktur hierarchisch geordneter Bereiche und um ihre Funktionsweise und schließlich um Wechselwirkungen mit der Psyche der sie bildenden Individuen. Zum Schluß soll eine Eigendynamik solcher Bereiche dargestellt werden, die bisher als “Ungerechtigkeit der Welt” fast nur unter moralisierenden Gesichtspunkten behandelt wurde. Es handelt sich um eine Art der Selbstkonturierung mit dem Ergebnis von wachsender Ungleichheit.

 

Von Soziologen wird man diesbezüglich meist an den Begriff der Herrschaft oder der Schichtung verwiesen. Nun haben aber Form und Funktionsweise der Hierarchie spezielle Implikationen, von denen “Schichtung” und “Herrschaft” nur Teilbereiche, genauer: den statischen Aspekt, umfassen.

 

Der Aufbau und die Bewegungsweise von Bereichen oder Systemen, sofern sie sich aus Individuen oder Untersystemen zusammensetzen, haben beispielsweise zur Voraussetzung eine Art Gleichrichtung dieser Individuen einer Hierarchieebene, eine gegenseitige Entsprechung zwischen verschiedenen Ebenen und eine besondere Art der Wechselwirkung zwischen ihnen. Erst diese ermöglicht den für hierarchisch organisierte Systeme charakteristischen Informations- und Ressourcenfluß. Einen Fluß übrigens, der sich absetzt vom „Prozessieren der Systeme“ weil er vertikal vom Gedanken zur Tat, von der Information zur Aktion und nicht nur horizontal zwischen den Bereichen verläuft.

 

Die Weber’schen Herrschaftsformen umfassen nicht ganz diese strukturellen und dynamischen Eigenschaften. “Legitimität” und “Charisma” können auch als Zweier-Beziehung zwischen Herrscher und dem Beherrschtem existieren. Mit ihnen ist nicht der pyramidenförmige Aufbau von Bereichen erfaßt, der die Lenkung stufenweise zunehmender Ebenen erlaubt. Allerdings offenbart der Schritt von der patriarchalen zur patrimonialen Herrschaft durch die Einschaltung der Beauftragten eins der wichtigsten Merkmale der sich geschichtlich entwickelnden Hierarchie - die Mehrstufigkeit, die sich im Laufe des Neolithikums etablierte. Bei Weber entsteht sie mit dem „Beauftragten“ zunächst temporär und dann permanent. (Wirtschaft und Gesellschaft, J. C. B. Mohr, Tübingen 1972, Seite 134:) „Vom primären Patriarchalismus scheidet (der Patrimonialismus) ... die Existenz des persönlichen Verwaltungsstabes.“ Dieser wird zunächst nach Willkür und von Fall zu Fall eingerichtet und später institutionalisiert. In der Hierarchie stellt er die erste Zwischenstufe dar zwischen dem Herren und den Beherrschten bzw. Ausführenden. Heute sprechen wir von den mittleren Management-Ebenen, von der Amtskirche oder der Beamtenschaft.

 

Man findet leicht, daß das Walten der Hierarchie mit einem Informationsfluß, beispielsweise der Ausgabe von Anweisungen und deren materieller Umsetzung, genauer: mit der Wandlung von Information in Aktion zu tun hat. Sie übersetzt beispielsweise über mehrere Stufen den Wortschall eines Befehls in den Tritt von Marschkolonnen, die Bauanleitung in die Errichtung eines Hauses oder den Lichteindruck eines Signals in die tausende von Pferdestärken einer Lokomotive. Hierarchie und Information zeigen sich derart miteinander verwoben, daß Information als funktionierende Hierarchie und Hierarchie als Voraussetzung der Information zu diagnostizieren sind. Daher wird in 3.0 eine diesbezügliche Klärung des Informationsbegriffes gegeben.

 

Sicher ist Information landläufig auch nur der Teil des oben beschriebenen Prozesses, der ohne die Aktion stattfindet. Also die Selektion eines gewissen Energiemusters (“Licht, von einem Raubtier strukturiert”), verbunden mit dem Verständnis dessen (“Raubtier / Gefahr”), was dieses Energiemuster beinhaltet: Erkenntnis. Die so durch das Raubtier strukturierte Energie enthüllt sich aber erst als Information, wenn sie bereichserhaltende Folgen (in Form von “Flucht”) hat. Im Falle des Lernens treten diese Folgen nicht sofort ein, sind aber als Möglichkeit implementiert worden. Wird die Struktur der Energie nicht verstanden, dann ist eben nur Licht eingefallen (mit der einzigen Folge einer geringen Erwärmung), aber keine Information aufgenommen worden. So kann ein Samenkorn nur Samenkorn genannt werden, wenn es die Möglichkeit einer Pflanze enthält, obwohl die Pflanze nicht sein Bestandteil ist. Auch die bereichserhaltende Reaktion ist nicht Bestandteil der Information, muß aber möglich sein.

 

Die Unmasse erkenntnis- und informationstheoretischer Veröffentlichungen zu dem Thema (“Information”) würde schon als Verzeichnis ein Buch füllen. Es geht hier aber allein um die Strukturähnlichkeiten des Ablaufs von „Information“ und „Funktionshierarchie“. Daher reichen dort, wo (bzw. für wen) die Hinführung weniger interessiert, die Kapitel 3.4 „Die mehrstufige Hierarchie“ und 3.5.1 bis 3.5.6 zum “Weltbild” aus.

 

Sehr plastisch werden bereits die mächtigen psychischen Implikationen von “Hierarchie” dargestellt - bei Foucault zB mit dem Schwerpunkt auf “Dominanz”, bei Adorno auf “Norm”, in Politik und Wirtschaft auf “Lenkung”; beides soll noch enger mit der hierarchischen Struktur sowie ihren materiellen und organisatorischen Bedingungen verknüpft werden.

 

Die vielfach beschriebenen Rituale der Hierarchie-Exekution sind hier nicht das Thema. Immerhin ist es interessant, den Weg von der homerischen Selbstanpreisung bis zur mehr oder weniger heimlichen Darstellung der feinen Unterschiede in der Gegenwart zu verfolgen. Die Komik dieses Verbergens kumuliert in Wahlkämpfen, wo man lauthals seine Bescheidenheit preist.

 

Darüber hinaus hat die Hierarchie in allen Systemen eine eigenartige, aber offenbar unwiderstehliche Tendenz zur Selbstverstärkung, die als Globalisierung das Problem der Gegenwart darstellt. Mit Selbstverstärkung ist gemeint, daß zB in der Gesellschaft Einfluß, Lenkungsvollmacht, Ressourcen oder Lebensqualität durch zunehmende Konzentration immer ungleicher verteilt werden. Die graphische Darstellung der Güterverteilung auf verschiedene Schichten (Abszisse: Zahl der Individuen gleicher Teilhabe; Ordinate: Menge der Güter bzw. Maß der Lenkungsvollmacht pro Individuum) die zunächst als Pyramide oder Spindel dargestellt werden kann, wächst mit der Zeit spitz in die Höhe (des Reichtums), verbreitet seine Basis (der Armut) und schnürt die Mitte (des Mittelstands) ein. Diese Tendenz, hier vorläufig etwas umständlich als “hierarchiebildende oder -konturierende Kraft” bezeichnet, soll ebenfalls in den Gesamtzusammenhang von Ressourcenstrom und Verdichtung gestellt und genauer untersucht werden.

 

Die bereits erwähnte Verdichtung ist - über die letzten 10.000 Jahre gesehen - sicher der universelle Treiber des Ressourcenstromes. Sie könnte diese Rolle aber niemals spielen, ohne eine entsprechende Steigerung des Organisationsgrades. Solange aus ihren Zelten keine Städte werden, brauchen Nomaden weder Autobahnen, Rundfunk noch Schulwesen. Umgekehrt würde keine Großstadt einen Winter überstehen ohne Maschinen, abgestufte Zuständigkeiten, Vorratsverwaltung, Ausbildung usw. Besonders der „innere“ Organisationsgrad in Form der Disziplinierung und Ausbildung folgt der Verdichtung, weil erst sie die Alternativen beschneidet, die andernfalls ein Ausweichen vor der Schule, der Kaserne, der Arbeit ermöglichen. Bei Abwanderung zeigt sichtbarer Verfall, wie der Organisationsgrad auch mit umgekehrtem Vorzeichen der Verdünnung folgt.

 

Wir finden im Ergebnis, daß eine Dreiheit von Einflußfaktoren, nämlich Dichte, Organisationsgrad und Ressourcenstrom, im gegenseitigen Wechselspiel den Fortschritt oder das Prozessieren (vertikal und horizontal) der Menschheit bestimmt. Die Art und Weise dieser Wechselwirkung ist zu zeigen.

 

Eine für den heutigen Menschen fast perverse Eigenschaft von “Ordnung” besteht in der Tatsache, daß eine in keiner Weise auf den Ressourcenstrom bezogene Ordnung, also eine “... an sich” dem Bereichserhalt dienen kann. Es geht um die meist völlig verkannte (konstruktive und destruktive) Macht der Ordnung. So ordnet beispielsweise eine rein religiöse Schicht, die nur als Verbraucher auftritt, zunächst den Bereich auf sich hin. Damit ordnet sie ihn aber schon als Gesamtbereich, sie ordnet ihn überhaupt und erleichtert, kanalisiert, beschleunigt, ja ermöglicht den Fluß der Ressourcen. Nicht im Sinne von Gerechtigkeit - die liegt disparat dazu, aber mit der Möglichkeit des Überlebens. Die “Ordnung an sich” wirkt derart, daß sie zumindest temporär (d.h. in den Zeiten des Aufstiegs einer Gesellschaft) den gesamten Aufwand für die sie begleitenden Rituale kompensiert.

 

 

 

Dies ist kein Plädoyer für die Ordnung an sich, denn der durch sie beschleunigte Ressourcenstrom hat nichts mit gerechter Verteilung zu tun. Überschreitet sie (die Organisation) zudem ein bestimmtes Maß, schlägt die Beschleunigung um - in die Chaotisierung. Die Kosten der Ordnung übersteigen dann den durch sie getriebenen Ressourcenstrom.

 


 

 

1.1    Die Herkunft des Wortes “Hierarchie”

 

eirarcia aus hieros und arche, heilig und Herrschaft (Philosophisches Wörterbuch, Schmidt/Schischkoff, 1972 bei Kröner) bezieht sich zunächst auf den Teil des Begriffes, der die obere Etage der Herrschaft meint: Die Herren sind heilig und stehen im Licht; was darunter, ist weniger heilig und zur Zeit des frühen Wortgebrauchs nicht erwähnt. Das Abstraktum Herrschaft, eigentlich eine Beziehung, eine mehrwertige Relation, konkretisiert sich zunächst nur in den Herren. Das funktionale Verhältnis von Befehl und Gehorsam, der soziale Bezug zwischen den Ebenen, die Zwei- bzw. Mehrwertigkeit des Begriffes findet erst mit dem Aufbau der christlichen Kirchenorganisation ihren Ausdruck.

 

Übersetzt man arche oder arché mit Ursprung (Metzler, “Philosophie Lexikon”, 1996, S. 39 “... auch verstanden als determinierender Ursprung”), so hätte man die “genetische” Hierarchie oder die Rangfolge nach der Abkunft. Das höchste Prinzip setzt die Formen und bringt das Geformte hervor, als Muster schon bei Plato absteigend von der Idee zu den Dingen. Es handelt sich dabei um eine Hierarchie der Werte, deren statisches Ansehen durch hohe Bewertung eines Zustandes der Ruhe - die Unveränderlichkeit der Ideen beim einen, der Unbewegte Beweger beim anderen - unterstützt wurde. Die Steuerungsfunktion, die darin bei der Materialisierung der Formen auftritt, wird als dynamische Form der Hierarchie (auch im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, 1974) noch nicht explizit angesprochen.

 

Als soziale Erscheinungsform von Hierarchie gelten zunächst Priesterschaft und Kirche. Von Anfang an bis in die Neuzeit ist der Begriff gemäß seinem Wortsinn mit der Religion verknüpft. Ältere Lexika, wie die "Encyklopädie der Wissenschaften und Künste", Brockhaus 1831, behandeln "Hierarchie" über 20 Seiten hinweg fast ausschließlich als kirchengeschichtliches Phänomen.

 

Porphyrius’ Begriffspyramide mag eine der Quellen gewesen sein, die die Form der Hierarchiepyramide vorgab. Diese wird implizit fast überall vorausgesetzt, jedoch offenbar mehr aus einer Wert- als einer Funktionsbetrachtung. Das Wertvolle ist seltener und das Minderwertige eben häufiger. Tatsächlich erweist sich aber die Pyramiden- (Birnen-, Spindel-) Form als eine Voraussetzung ihres Funktionierens. Nur sie kann mit nach unten zunehmender Größe, Menge, Anzahl, Kraft, Energie... Information in Aktion verwandeln.

 

[Nicht enthalten als Stichwort ist “Hierarchie” zB in so umfangreichen Werken wie:

            1.        Wörterbuch der Soziologie 

                         Hg. Wilhelm Bernsdorf (1 Bd.)

                         ENKE, Stgt. 1969

            2.         Encyclopedia of Sociology 

                         Hg. Borgatta / Borgatta (4 Bde.) 

                         Macmillan 1992

            3.         Handwörterbuch der Sozialwissenschaften 

                         Hg. Beckerath u.v.a. (12 Bde.) 

                         J.C.B. Mohr u.v.a., Göttingen 1956

            4.         International Encyclopedia of the SOCIAL SCIENCES

                         David L. Sills (18 Bde.)

                         Macmillan 1968

Dies angesichts der Tatsache, daß Hierarchie der Steuerungsmechanismus

aller gesellschaftlicher Bewegungen ist.]

 

 

         1.01  Die Wertung des Begriffs

 

Durch die kirchengeschichtliche Gewichtung bedingt, setzt mit der Aufklärung eine moralische Wertung des Begriffes im negativen Sinne ein. Hierarchie behält bis in die Gegenwart eine Anmutung von Autorität und Reaktion. Natürlicherweise, könnte man sagen, denn die Steuerung von oben als Synonym der Hierarchie dient dem Bestehenden. Natürlich wird auch der Umsturz hierarchisch gesteuert, nur geht die Norm hier der Hierarchie voran, zB in Form einer verbreiteten Unzufriedenheit oder einer daraus erwachsenden revolutionären Theorie. Dann agiert Hierarchie auch im Kampf gegen das Bestehende, jedoch mehr konspirativ, weniger ritualisiert und weniger sichtbar. Die Gegen-Norm gewinnt Form, erwählt sich Sprecher und macht diese schließlich zu Lenkern - schon haben wir das Muster, das auch die neue Herrschaft erhält.

 

Der Ursprung als "heilige Herrschaft" war zweifellos eine unwiderstehliche Versuchung für Diedaoben, Autorität jeglicher Form zu stützen. Merkwürdigerweise zeigen auch neuere Autoren diese Tendenz. Sowohl Dombois, in “Hierarchie, Grund und Grenze...”, 1971, als auch Weippert in “Das Prinzip der Hierarchie”, 1932, und gegenwärtig alle Ismen, die die Globalisierung fördern (aber den Begriff nicht in den Mund nehmen), entpuppen sich in den Resümees ihrer Werke als Panegyriker dessen, was sie als Hierarchie definieren - der rangmäßigen Über- und Unterordnung. Es gibt sozusagen eine Hierarchiestufe, die dem Individuum zukommt und in der er seinen Frieden findet. Sein Sosein, meist aus seiner sozialen Lage abgeleitet, definiert seinen Rang in der Welt. Hier konserviert Hierarchie den Status.

 

Heute zeigt sich dort, wo Autorität abgelehnt wird, eine Tendenz, den Begriff Hierarchie nach Möglichkeit zu umgehen, bzw. seine einfache funktionale Bedeutung nicht wahrzunehmen. Er wird auf die Registrierung schichtspezifischer Verhaltenseigenarten reduziert. Mit psychologischem Feingefühl werden die verborgenen Reste der alten Rituale (besonders interessant bei Bourdieu: „Die feinen Unterschiede“ oder überaus plastisch bei Foucault) herausgearbeitet. Die hierarchiebildenden Eigenschaften “Führungskraft” und “Gehorsam” sind, weil sie in verheerenden Kriegen kulminierten, zu - nichtsdestoweniger in allen Organisationen maßgebenden, begehrten und gepflegten - Untugenden geworden. Dies hat auch dem Strukturbegriff eine negative Wertung beschert. Allerdings sind die Untugenden gerade im Felde der schärfsten Ablehnung der Struktur als Rang-Privilegien, z.B. denen der Meinungsäußerung, besonders virulent. So ist seine Majestät zum ersten Sekretär, die Priesterschaft zur Kommandoebene, der Chef zum Partner geworden, aber die Steuerungsvollmachten haben durch den (anfänglichen) Wegfall der Rituale an Effektivität eher gewonnen.

 

 

 

 

 

         1.02  Folgen der Wertung

 

Sogar in den exakten Wissenschaften werden die funktionalen Momente der Hierarchie vernachlässigt. ZB das "fachlexikon abc biologie", Harry Deutsch, Leipzig 1986, führt gerade "hierarchisches System" mit dem Hinweis "Taxonomie" also nur die Seite der statischen Ordnung, auf. Die zahllosen Beispiele dynamischer hierarchischer Steuerungssysteme bei der Bewegung, Vererbung, den Hormonwirkungen, den Nervenfunktionen, der Gruppenlenkung usw. werden dort nicht einbezogen.

 

Erst die 7. Auflage des Staats-Lexikons, Schwabe & Co., Basel, bringt über 6 Spalten hinweg (ab Seite 1273) eine politisch-philosophische, eine theologisch-kanonische und eine soziologische Erklärung. (Zuvor war auch dort der Begriff nicht vertreten) Es findet sich darin bereits die Darstellung der organisatorisch-strukturellen Bedeutung, die der dynamischen jedoch nur in Ansätzen: (S. 1278) ” ‘Bürokratie’ und ‘Hierarchie’ wurden vielfach zu negativ besetzten, emotional aufgeladenen Stereotypen, gegen die in den Erörterungen oftmals ein breiter Konsens mobilisiert werden konnte. Inzwischen hat hier wie auch andernorts eine Ernüchterung eingesetzt. ‘Hierarchie’ kann - bei der Bemühung um eine Bewertung - als ein Basismerkmal gesellschaftlicher Gestaltung begriffen werden, das als solches unabdingbar ist, das jedoch hochgradig plastisch ist und das insofern auch mit vielfältigen übergreifenden Zielsetzungen vermittelt werden kann.” Ob es unabdingbar ist und wofür, das mag noch einige Schritte lang dahingestellt bleiben. Als ein reiner emotionsfreier Strukturbegriff wie zB „Höhe“, “Anzahl” oder „Komplexität“ wird „Hierarchie“ trotz Ernüchterung immer noch nicht gesehen. Sie darf allerdings nicht in einem Atemzug mit der Bürokratie genannt werden. Bürokratie ist eine Mischung aus Hierarchie, Ritual und Kanalisierung, in der die beiden letzteren Momente (auf dem Weg von der ordnenden Funktion zur Überorganisation) ein solches Übergewicht gewinnen können, daß durch sie Ressourcenströme bis zum Stillstand gestaut werden. Struktur und Wirkungsweise all dieser Begriffe aber sollen unbeeinflußt von Wertvorstellungen untersucht werden.

 


 

 

1.2  Hierarchie und Hackordnung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.2.1 Die Unterschiede

 

Der Terminus “Hackordnung” ist bekanntgeworden durch die Dissertation von Schjelderup-Ebbe (u.a. wieder abgedruckt in “Social Hierarchy and Dominance”, Halsted Press, ISBN 0-470-75855-4) über das Dominanzverhalten von Hühnern. Sie stellt einen Markstein in der Beobachtung und Deutung sozialer Verhaltensweisen dar. Im Titel des o. a. Sammelwerkes sind allerdings die beiden Begriffe miteinander vermengt, da hauptsächlich Dominanz und Hackordnung gemeint sind, nicht aber Hierarchie im hier definierten Sinne, d.h. in ihrer Lenkungsfunktion für Gruppen. In Abb. 1 ist das Schema von Hierarchie und Hackordnung graphisch dargestellt.

 

Die Abbildung zeigt im oberen der zwei Teile die Dominanz in einer beliebigen Sozietät, im Unteren die Hierarchie. Dominanz heißt, daß ein Individuum in Richtung der dargestellten Pfeile auf ein anderes einwirkt und dieses im Sinne seiner Absichten bewegen kann. Die Absichten können sein, das dominierte Individuum zur Flucht zu bewegen, vom Futter zu trennen, es einen Satz oder das Einmaleins sprechen, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit heraustreten oder Maschinenteile gemäß einer Vorgabe zusammenfügen zu lassen etc. Die Pfeile gehen auf der (oberen) Abbildung gewissermaßen durcheinander - obwohl ein Individuum mehrere andere dominieren kann, veranlaßt es sie nicht zu gemeinsamer, durch seine Absichten geregelter Bewegung. Auch ist die Verkettung von Dominanzen nicht transitiv: wenn A B dominiert und B C lenken kann, heißt das nicht, daß A über C bestimmt. C kann nämlich durchaus nach dem Motto “...hat den Alten in der Hand” über A bestimmen.

 

Anders die Hierarchie. Hier spricht die (zweite) Abbildung für sich; das Leit-Individuum veranlaßt beispielsweise alle anderen gleichzeitig zum Aufbruch. D.h. es bewegt alle Mitglieder “seiner” Gruppe in einem, seinem Sinne. Auch das Zusammenfügen von Maschinenteilen kann unter “Hierarchie” subsumiert werden. Dabei mag jeder der Beteiligten etwas anderes tun; der Zweck und das Ergebnis entspringen jedoch einer Absicht, die von allen erfüllt wird. Sie findet ihren Ausdruck in einem Produkt.

 

Man kann hier die Frage diskutieren, ob Hierarchie ohne Dominanz möglich ist. Rein funktional bestimmt zum Beispiel ein Versammlungsleiter oder ein Ausguck über das Verhalten eines Bereichs. Die Versammlungsteilnehmer oder das Schiff werden natürlich von ganz anderen Personen gelenkt. Aber für Augenblicke haben jene das Sagen und alle richten sich nach ihnen. Sind sie deswegen dominant? Nach mehrheitlichem Verständnis wohl nicht, jedenfalls nicht persönlich.

 

 

1.2.2 Verkettung der Dominanzen

 

Hackordnung beschreibt die Herrschaft oder Dominanz eines Individuums über das andere und, sofern es sich um mehr als zwei Individuen handelt, die Verkettung der Dominanzen. Die Tatsache, daß dabei ein Individuum seine Herrschaft auf mehrere (Unter-) Individuen ausdehnen kann, hat offenbar zur Vermengung der Begriffe geführt; diese Verkettung hat aber noch nichts mit Hierarchie zu tun. Es fehlt die gemeinsame Ausrichtung der Individuen auf ein von oben vorgegebenes oder von unten durch Abstimmung definiertes (und dann zwecks Exekution nach oben - zB durch Wahlen delegiertes) Ziel. Ebensowenig hat die Verkettung etwas mit mehrstufiger Hierarchie zu tun. Wenn jemand einen zwingt, einen dritten zu zwingen, dann ist das Dominanz, es sei denn der erste zwingt mehrere, von denen jeder wieder eine Gruppe lenkt, so daß die Zahl der Gezwungenen oder Gelenkten in jeder Ebene (nach unten) zunimmt. Dies würde dann das Muster der mehrstufigen Hierarchie erfüllen.

 

Ein anderer Punkt wäre die damit verbundene Frage des Zusammenhalts. Deutlich ebd. [Halstedt Press, Benchmark Papers] in “Problems in biopsychology of social organisation”, S. 133, wo Dominanz als ein Faktor gesehen wird, der die Wesen voneinander isolieren kann und mehr oder weniger destruktiv auf den Gruppenzusammenhalt wirkt. Jein, würde auf die Frage wohl der Psychologe antworten, da Dominanz sowohl sadistisch als auch karitativ sein kann, manchmal beides zugleich. Dagegen ist Hierarchie gerade der Gruppenbildner (im Zusammenspiel mit der dabei unverzichtbaren Norm und) im Hinblick auf gemeinsame Bewegung und Wirksamkeit. Hackordnung oder Dominanz allein können diese Rolle nicht übernehmen. Denn erstens kann auch das Individuum, welches nach den Regeln der Hackordnung die meisten anderen unter sich hat, immer noch von einem der übrigen dominiert werden (Abb. 1, roter Pfeil, “...hat den Alten in der Hand”) und zweitens muß seine Dominanz nicht alle Individuen des Bereichs umfassen.

 

Dominanz geht in Hierarchie über, wenn sie über mehrere Individuen in der gleichen Weise wirkt, d.h. mit der Lenkungsfunktion über sie ausgestattet ist. Die Individuen des ganzen Bereichs oder wenigstens der nächstgrößeren darunterliegenden Ebene müssen auf eine von oben ausgehende Information in gleichem Sinne reagieren. Sie müssen zur Wahrnehmung der Lenkungsfunktion genormt sein. Norm äußert sich zB in einem gemeinsamen Verständnis von Signalen, das wiederum die Voraussetzung für die webersche Folgebereitschaft ist. Im Rudel bestimmt das Leittier beispielsweise die Richtung, die alle Mitglieder einzuschlagen haben. Die Norm besteht hier in der Anerkennung der Lenkungsvollmacht und in der Fähigkeit, die Signale des Leittiers richtig und in gleicher Weise zu deuten.

 

 

1.2.3 Die emotionale Seite der Dominanz

 

 ist sicher kaum zu überschätzen. Man findet sie in aller Schärfe bei Foucault (“Überwachen und Strafen”): liest man ihn, glaubt man ständig “Die Zofen” von Genet zu hören - der beleidigte Souverän rächt sich fürchterlich, der Aufseher weiß alles, der Delinquent kniet demütig. Die Bedeutung der mit “Dominanz” verbundenen Emotionen tritt im Alltag hervor beim Wechsel von Hierarchieebenen, den das Individuum nach oben anstrebt und nach unten erleidet. Hierarchie ist zwar keine Dominanz, aber sie verleiht welche. Dominanz stabilisiert die Hierarchie, aber sie ist keine Voraussetzung für ihr Funktionieren. Ich tue im Allgemeinen, was der Fremdenführer sagt, obwohl er mir eigentlich “nichts zu sagen hat”, obwohl er in keiner Weise dominant sein muß.

 

Der Gewinn an Dominanz beim Aufstieg wird gefeiert, der Verlust beim Abstieg kann Nervenkrisen und Selbstmord zur Folge haben. (S. 5.6 “Aufstieg und Abstieg”, Abb. 5)

 

 

 

 

 

 

                  

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Wir sehen zur Erntezeit polnische Saisonarbeiter von Sonnenauf- bis -untergang schuften, während deutsche Sozialhilfeempfänger nach spätestens zwei Stunden krank werden. Dies mag viele Ursachen haben, entscheidend ist aber die Perspektive: der Pole bringt seine Familie über den Winter und hat sein Sparziel vor Augen; der Deutsche verliert seine Freizeit.

 

 

Wir haben hier Emotionen, die in enger Wechselwirkung mit der Struktur stehen. Die Inhaber der Lenkungsvollmacht stabilisieren den Bereich durch ihr Hierarchiebewußtsein, die Angehörigen des doing-levels tun dies durch ihr Sicherheitsbedürfnis. Die Bedeutung der mit Hierarchie und Verdichtung verbundenen Emotionen rechtfertigt eine eigene Abbildung, da sie den Treibstoff für die gewaltigsten gesellschaftlichen Bewegungen liefern.

 

Genau besehen besteht die Ordnungswirksamkeit der o.g. Emotionen vor allem in einer Stabilisierung der Hierarchie. Ihre Bedeutung ist kaum zu überschätzen. Den Schrecken des Abstiegs wird vorgebeugt durch die Festschreibung von Privilegien. Die Privilegien sorgen dafür, daß dem Aufstieg keine adäquater Abstieg gegenübersteht. Es wächst der Wasserkopf, wenn unten nicht nachgefüllt und die Funktion durchs Privileg ersetzt wird; m.a.W. der Beamtenüberfluß wird zum Personalmangel. Ein Reich muß immer wachsen, eine Wirtschaft ebenso. Andernfalls würde die Basis verschwinden oder verhungern.

 

Noch brachialer induziert der Abstieg bezw. die Angst vor ihm gesellschaftliche Bewegung. Eine allmähliche Verdichtung in Form sich langsam verschlechternder Lebensbedingungen kann spontane Aufstände provozieren, die in regelrechten Explosionen die Ordnung zertrümmern. Oft gibt es dann keinen niederen Organisationsgrad mehr, der den Ressourcenstrom aufrecht erhält, so daß die Produktion gänzlich zusammenbricht. Entscheidend ist dabei die Veränderung der Lebensbedingungen, nicht ihr absoluter Stand. Man sieht die Notwendigkeit des Individuums im Leitlogo: beseelte Bereiche haben im Gegensatz zu Belebten unverzichtbar die Angst im Kalkül.

 

Trotzdem bleibt den Individuen ein stärkeres Lebensgefühl in Zeiten des Umsturzes, weil die Erstarrung einen (da unten) nicht mehr im Griff hält. Die gemeinsame Tat bringt ein unglaubliches Gefühl der Befreiung, weil die bewußten und unbewußten Fesseln des Alltags, der Disziplinierung und Selbstdisziplinierung auf einen Schlag weggesprengt werden. Um so ernüchternder ist dann die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Ordnung, die im Gegenzug als Rebürokratisierung allen Schwung erstarren läßt. (s. Majakowskis “Wanze” unten und die Anm. dazu)

 

 


 

1.3 Formen der Hierarchie

 

1.3.1 das “Enthaltensein im Enthaltensein”

 

Abb. 2: Grundsätzlich sind zwei statische und eine dynamische Form der Hierarchie voneinander zu unterscheiden. Die statische, die eine Anordnung beschreibt, kann zunächst die Form des “Enthaltenseins im Enthaltensein” (Niklas Luhmann, "Soziale Systeme", Suhrkamp Taschenbuch 666 , zB S. 38) haben. Sie entspricht am anschaulichsten der Form, in der Begriffe die Vorstellungen und Oberbegriffe die Begriffe zusammenfassen und umfassen. Der Begriff Mensch umfaßt alle Menschen, der Begriff Lebewesen alle Menschen, Tiere und Pflanzen. Das Gleiche gilt topologisch für die Sachen selbst: Das Haus ist in der Stadt, die Stadt im Land, das Land im Kontinent.

 

In der Abbildung 2 stellt die erste (oben: 2a) von drei Darstellungen die Form des Enthaltenseins im Enthaltensein dar. Die Individuen oder Normteile einer Schicht, hier als Rechtecke einer Größe, sind in beliebiger Zahl von größeren Rechtecken oder Kästchen umfaßt und diese wieder von den Nächstgrößeren usw. Das ist das Muster Haus-Stadt-Land (topologisch: viele Häuser sind in der Stadt, viele Städte im Land) oder Baum-Pflanze-Lebewesen (begrifflich). Die Schicht selbst kommt in dieser Form nicht vor, weil die dritte Dimension in Form der Über- und Unterordnung im Enthaltensein... fehlt. Die Soldaten sind nicht in den Unteroffizieren enthalten und diese nicht in den Offizieren. D.h. die Darstellung des Enthaltenseins ist nicht für die Darstellung sozialer Steuerungsbeziehungen geeignet.

 

 


 

Der mittlere Teil (2b) zeigt die Hierarchie der Werte. Oben ist Gold oder, wenn wir die Ideen werten, nach Plato das Heilige; darunter finden wir Silber bzw. das Gute, dann Kupfer oder das Wahre und unten Blei oder die Schönheit. Wir haben die Ebenen und implizit ihre Verbreiterung nach unten, weil das Wertvollere als seltener vorausgesetzt wird. Auch die Ideen und ihre Materialisationen verhalten sich zahlenmäßig wie Stempel und Münze.

 

 

 

 

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Das Enthaltensein kennt eine Über- oder Unterordnung nur begrifflich dadurch, daß der “Ober”begriff viele Individuen zusammenfaßt und topologisch dadurch, daß das Enthaltende (Stadt oder Baum) größer ist als das Enthaltene (Haus oder Linde). Eine Steuerungsfunktion ist damit nicht verbunden und eine Rangung höchstens bezogen auf die genannten Größen; aber die Bewertung, zB „Groß gilt mehr als Klein“ muß erst hinzugefügt werden. Dem Enthaltensein fehlt sozusagen die dritte Dimension, das Oben und Unten, aus dem erst der Rang hervorgeht. Noch weniger verweist es auf eine Funktion, die erst durch eine Wechselwirkung der Ränge zustandekäme.

 

Die Hauptproblematik bei dieser Hierarchieform (des Enthaltenseins) liegt für Simon [Hierarchy Theorie, Hrsg. Howard H. Pattee, Georg Braziller, New York 1973]

in der genetischen Frage, wie sich der übergeordnete Bereich, das Neue, so aus seinen bestehenden Teilen konstituiert, daß schließlich das Ganze mehr ist als diese seine Teile. Die hierarchisch gesteuerte Bewegung macht die von ihr erfaßten Individuen eben durch das erreichte Ergebnis (hier die gerichtete gemeinsame Ortsveränderung) zu einer Einheit. Wie wird aber das durch bloßes Enthaltensein Zusammengefaßte zu einer Einheit? Simon sieht dabei, vom Bild der chinesischen Kästchen ausgehend, den Erklärungsweg in der Darlegung der Verbindungsweise zwischen den Elementen. Die Bindung ist so stark, daß die Elemente einerseits ihre Selbständigkeit verlieren aber zugleich so schwach, daß sie andererseits einen eigenen Bewegungsspielraum und eine erkennbare Identität behalten. Er nennt sie “near decomposible”.

 

Dies ist zunächst eine mechanisch-statische Betrachtungsweise, die den Zusammenhalt der Elemente gegen eine mögliche Trennung meint. Die notwendige soziale Gleichheit oder Gemeinsamkeit (um als “Enthaltenes” oder Zugehöriges gelten zu können) im Sinne der weberschen Folgebereitschaft bzw. der Riedl’schen Norm (“Strategie der Genesis”), eine Voraussetzung für die hierarchische Steuerung, ist damit nicht erfaßt. Folgebereitschaft ist auch ohne Zusammenhalt möglich; ich kann die Anordnungen des Chefs akzeptieren, ohne meinen Kollegen zu mögen.

 

Auf menschliche Gesellschaften bezogen, betrifft dies eher das gegenseitige und das durch die Norm kanalisierte Verhalten als jene elastische Bindung. Es würde hier zB auch nach Freud die “Massenpsychologie” greifen. Freud sieht die Masse gesteuert vom Unbewußten. Ohne dies zu bestreiten, kann man zeigen, daß es auch eine rein logische Notwendigkeit gibt, “...weder Zweifel noch Ungewißheit” (“Massenpsychologie”, Fischer 6054, S. 17) zu kennen. Zweifel verhindern jegliche gemeinsame Bewegung, wie in 5.4 “Der kleinste Nenner” gezeigt. Die “magische Macht von Worten” (ebd.) ist dann nichts als die Beschwörung der Gewißheiten, die gemeinsame Bewegung erlauben. Sie werden aufgesogen von den Individuen als die Dammbrecher entgegenstehender Moralen, Interessen, Sprachen, Gewohnheiten, Individualitäten usw. zur Freisetzung der in ihnen aufgestauten Emotionen. Oder, rein auf die Bewegungsmöglichkeit bezogen, selektieren und präferieren Individuen die Worte, die ihnen die einzig wirksame, nämlich die gemeinsame Aktion versprechen. Die frustrierende Erfahrung der Vergeblichkeit individueller Bemühung hat sich bis dahin (wie zB in der Weimarere Republik) meist zu einem kollektiven Trauma ausgewachsen, das explosionsartig in die gemeinsame Tat mündet. D.h. der Druck hin auf eine Veränderung ist so stark geworden, das alles was die Individuen gewollt, aber nicht durchgesetzt haben, sich auf die Gemeinsamkeit reduziert. Dies kann so weit ab liegen von den Zielen der Einzelnen, daß sie nichts bekommen als die Veränderung, für die sie nichtsdestotrotz alles aufs Spiel setzen.

 

 

 

            Zur Moral, eine vorläufige Anmerkung

          (Ausfühlich s. Pkt. 4.7, Buch 3)

 

Ob die Aktion der Masse nun sittlich und genial oder brutal, sadistisch und von viehischer Dummheit ist, hängt lediglich von Zufall und/oder Bewertung ab. Wer aber allgemeingültige Moralgesetze, wie die Kantischen, gelten läßt, muß zugeben, daß sie keinen Einfluß auf die Dynamik gesellschaftlicher Bewegungen haben. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, daß von den Sachwaltern der Liebe auf Erden die Lebendverbrennung eingeführt wurde, daß die Brüderlichkeit durch die Guillotine und die proletarische Solidarität mit Hilfe des Gulag durchgesetzt wurden, dann darf gefolgert werden, daß die Bereichsbewegungen gleichgültig gegen die sie begleitenden moralischen Ansprüche sind, gleichgültig jedenfalls, solange die Ansprüche nicht die Schubkraft der Bewegungen beeinflussen.

 

 

 

                  1.3.2 Hierarchie der Werte

 

Von jener Hierarchie des Enthaltenseins ist die Über- oder Unterordnung qualitativ gänzlich verschieden. Da ist zunächst die “Hierarchie der Werte”, die aber auch noch keine Wirkung der durch sie geordneten Schichten aufeinander beinhaltet. Gold zählt mehr als Silber, Mut ist höher zu bewerten als die Tugend der Sparsamkeit, aber das Gold bestimmt nicht über das Silber, die Sparsamkeit wird nicht vom Mut befehligt. Ebensowenig kennen die Werte ein Enthaltensein.

 

Wichtig ist dabei eigentlich nur, daß das “oberhalb” mit einem “höheren” Wert verbunden ist. Wir sehen dies graphisch dargestellt in Abb. 2.2. (Mittleres Bild) Die Anordnung in Form einer Pyramide ist rein willkürlich, findet sich aber in fast allen Darstellungen. Die Rangung sagt ja eigentlich noch nichts über den Umfang einer Schicht. Eine Verbreiterung der Basis ergibt sich zunächst nur empirisch. Das Häufige ist von geringerem Wert, weil es ohne Mühe erlangt werden kann, das Seltene hat einen hohen Wert.

 

Logisch ist auch erschließbar, daß nur Seltenes aus Handhabungsgründen als Wertmaß vereinbart wird. Hinkelsteine haben sich nicht als Währung durchgesetzt. Was dabei die Rangung der Tugenden anbetrifft, kann die Gemeinschaftsdienlichkeit oder das Maß der moralischen Anstrengung herangezogen werden, aber auch der Beitrag zum Bereichserhalt oder die später ausführlich behandelten Notwendigkeiten der hierarchischen Steuerungsfunktionen. Die pyramidenförmige Struktur der Rangung ist eine Voraussetzung der hierarchischen Steuerung, ist aber zunächst als eine Wertzumessung ins Bewußtsein gedrungen.

 

 

 

 

Ihr ähnlich, aber von der Zeit strukturiert, ist die

 

1.3.3          Hierarchie der Genese:

 

Von Schöpfern, von Ideen, von Prinzipien oder vom Ganzen ausgehend werden die Teile erschaffen und geformt und von diesen wieder die Teile der Teile bzw. die abgeleiteten Formen. Von den Eltern kommen die Kinder, vom Meister das Werk, von den Ideen die Individuen usw. Die Konzentration der Essenz, die gestaltbildende Kraft wird im Abstieg zu den Dingen immer schwächer, so daß diese (Plato gefolgt) im Rang weit unter den Ideen stehen, denen sie ihr Sein verdanken. Die Naturwissenschaft findet den umgekehrten Vorgang verwirklicht: das Kleinste, das Einzelne, das Normteil baut durch Zusammenschluß die größeren Einheiten. Diese haben Bestand, wenn sie im Laufe ihrer Entstehung Energie aufnehmen und diese beim Einwirken destruierender Einflüsse so abgeben, daß sie letzteren im Sinne ihres Erhalts entgegenwirken - kurz, wenn sie reagieren können.

 

         Obwohl dieser Aufbau sozusagen “von unten” geschieht, haben wir die Neigung, ihm im Sinne der Hierarchie der Genesis einen Plan vorzuordnen, der wenigstens die resultierenden Möglichkeiten einmal gesehen, geahnt, gedacht... hat.

 

 

Im Samenkorn findet sich die Information zur Herstellung eines Blattes, aber nicht das Blatt selbst. Die Information wird zum Blatt, nicht nur zu einem, sondern zu Hunderttausenden. Die DNS gibt die Anweisung zur Erzeugung von Proteinen, die Proteine bewegen Materie und Energie und lassen den Bereich wachsen und gedeihen. So gesehen haben wir die Verbindung zur Form der dynamischen Hierarchie, die aus einer Anweisung eine Ausführung durch Viele macht, die von der Information zur Aktion gelangt.

 

Nun ist aber das Blatt keine Aktion, es ist ihr sichtbares Ergebnis. Das heißt, wir haben die zahllosen chemischen, osmotischen, physikalischen und sonstigen Vorgänge, die wohlgeordnet gemäß den Erb-Anweisungen stattfinden und dabei ein Blatt hervorbringen.

 

So wie die resultierende Aktion bei einem Heer oder einer Demonstration der Marsch ist, der gemäß den Befehlen, Anordnungen oder Empfehlungen stattfindet, so ist in der Pflanze der Marsch der Säfte und Photonen die Aktion, die gemäß den Erbanweisungen als Formung des Blattes vor sich geht und als Ergebnis die Form hat.

 

Wir haben damit die Hierarchie der Genese auf die dynamische Hierarchie zurückgeführt und sehen, daß bei dieser der Vorgang und bei jener das Geformte sich ergibt. Eine philosophische Analogie ist mit der Rückführung der Seinsursache auf viele (Leibniz: unendlich viele) Wirkursachen gegeben.

 

Befehlsfluß oder die Verwandlung von Information in Aktion geschieht erst in der dritten, der Form der dynamischen oder Funktions-Hierarchie. Sie wird noch ausführlicher in Kap. 2.0 behandelt. Voraussetzung für ihr Funktionieren ist allerdings die zweite Form der statischen Hierarchie, die Über- und Unterordnung. Sie bestimmt die Richtung, in der Information zu Aktion wird. Ihre sozialen Prototypen sind in Militär, Kirche und Mafia ideal verwirklicht.

 

 

                  1.3.4          Die Funktionshierarchie

 

als das Prinzip, das in allen Lebewesen und Gesellschaftsformen wirkt, ist das eigentliche Thema dieser Arbeit. Da ihre Wirkungsweise in der Wandlung von Information in bereichserhaltende Aktion besteht, stellt sie auch das Grundmuster dauerhaften Prozessierens in der organischen Welt dar. (“Prozessieren” ist ein Terminus der Systemtheorie; er wird hier mit der Betonung auf den “vertikalen” Tausch von Energie, Information und Materie beim Weg vom Signal zur Aktion gemeint, nicht so sehr als Wechsel und Austausch zwischen den Systemen) Ihr enger Zusammenhang mit dem Ablauf von Information wird durch eine Analyse des Informationsvorganges in 2.0 unterstrichen.

 

Die Wandlung von Information in Aktion läßt sich vorläufig und kurz gesagt veranschaulichen durch den Weg vom Signal, beispielsweise einer auf Grün springenden Ampel über die verständige Umsetzung bei Betätigung des Gaspedals und schließlich in die Lösung der im Kraftstoff gestauten Arbeitsenergie. Wir konstatieren in diesen Stufen eine Kaskade zunehmender Energie. Analog dazu wirkt die soziale Hierarchie auf Kaskaden zunehmender Individuenzahlen und mit ihnen auch wieder zunehmender Energie. Der Befehlshaber, Führer, Agitator, Stifter, erste Sekretär usw. beauftragt seine Organisatoren, diese instruieren die Unterführer und diese wieder setzen die Massen in Marsch. Unter Berücksichtigung der Fragen von Verständnis, Zustimmung und Norm hat sich dann der flatus vocis des Obersten über die Pläne, Tagesbefehle und Signale des Managements in die freigesetzte Energie ganzer Heere, Firmen und Demonstrationen gewandelt.

 

Zunächst aber zu einem Begriff, der immer häufiger im Zusammenhang mit der Globalisierung, oder besser der Theorie der Globalisierung auftaucht.

 

 

                  1.4   Heterarchie

 

soll die Nachteile der Hierarchie, die komplexe Systeme im Sinne der Systemtheorie (durch Globalisierung, Privilegierung, Bürokratisierung) letzten Endes unsteuerbar machen würde, vermeiden. Im Gegensatz zur pyramidalen Weisungshierarchie mit ihrer absolutistischen Spitze ist unter Heterarchie ein polyzentrisches Netz mit gleichberechtigten Knoten zu verstehen. Aus dieser Art von Gleichberechtigung erwächst die ideologische Schubkraft des Begriffes. Er suggeriert in der Folge eine Partizipation aller an den Ressourcen, sofern sie imstande sind, sich das Wissen der Wissensgesellschaft anzueignen. Der in Kap. 3 dargestellte Informationsfluß wäre an anderer Stelle auch für die Heterarchie zu untersuchen.

 

In der Heterarchie kommunizieren die Bereiche - zunächst im Gegensatz zur eben untersuchten vertikalen Kaskade - untereinander von Ebene zu etwa gleicher Ebene. Scheinbar unterliegen sie keiner Anweisung, wenigstens nicht dem Schema von Befehl und Gehorsam. Soll dann aber eine materielle Wirkung hervorgebracht werden, muß wie bei der mehrfach erläuterten Wirkungs-Kaskade die Information (innerhalb eines Systems / Bereichs) die Ebenen wechseln und im Absteigen immer größere Energien lösen, immer größere Individuenzahlen erfassen. Ohne eine mögliche Reaktion behält die Information lediglich Gedanken- oder Traumcharakter. Die gegenseitige Information von Akteuren kann zwar eine Aktion vorbereiten, hat aber nichts mit ihrer Erzeugung zu tun.

 

Der reine Austausch wäre l’art pour l’art und ist von Roald Dahl beschrieben worden: Ein Gehirn mit Auge liegt in einer Nährlösung und ist den Provokationen seiner Umwelt ohne jede Reaktionsmöglichkeit ausgeliefert. Das wäre reine Information ohne darauffolgende Aktion. (Oder da wir die bereichserhaltende Reaktion, wie in 3.0 erläutert, als Bestandteil von “Information” sehen, wäre es “halbe” oder unvollständige Information) Also bloße Resonanz in Form der Erkenntnis: „Aha, das ist Anton“ ”...das ärgert mich” oder „...das hat was!“ ohne weitere Verarbeitung oder Verwendung. Auch das „Fassen unter einen Begriff“ („...ein Planet“) und die Einordnung ins Weltbild („...umkreist die Sonne“) bedeutet noch keine Aktion, wird aber durch Information veranlaßt. Diese zunächst immateriellen Vorgänge dienen letzten Endes auch dem Bereichs- (Selbst-) Erhalt, jedoch vermittelt als ein Lernen zwecks Verbesserung und Vervollständigung des Weltbildes. Ihnen muß erst die Tat folgen, die zum Erhalt beiträgt. So kann das einfache Weltbild beispielsweise einen Fluchtweg identifizieren, ein durch Lernen verbessertes aber an Hand bestimmter Merkmale dahinter eine Falle erkennen. Diese Art von Information schließt nicht mit einer Aktion ab, bereitet sie nur vor.

 

Wir können die Art von Information, die sich scheinbar ohne Auswirkung nur im Gehirn abspielt, als vertagte Aktion auffassen und damit wieder unter das Zeichen der Hierarchie setzen. Der Lernvorgang disponiert das Gehirn zur Verarbeitung künftiger Reize derart, daß das Licht des Signals in die Armbewegung des Lokführers und diese über die zweckdienlich konstruierten Anlagen in die Aktivierung der Zugkräfte umgesetzt werden. Die Transportleistung entsteht nicht durch horizontales Prozessieren, nicht dadurch, daß beispielsweise einige Lokführer sich gegenseitig von der Güte einer Kantine unterrichten. Teilen sie sich aber die Stellung eines Signals mit, dann tauschen sie Information im Sinne der Systemtheorie, setzen aber nicht das Prinzip der Hierarchie außer Kraft, sondern bereiten seine Anwendung vor.

         

M.a.W. dient das “Prozessieren der Systeme” untereinander nur der Vorbereitung, der Kanalisierung oder der Absicherung von Aktionen, nicht aber ihrer Hervorbringung. Dazu sind zumindest temporäre Funktionshierarchien mit vertikalem Energiefluß erforderlich. Keinesfalls hat das horizontale Prozessieren die pyramidale Hierarchie ersetzt, nur weil einigen Soziologen jenes Netz das sich über die Hierarchiepyramiden spannt, den Blick auf die Basis verdeckt.

 

 

 


 

1.5    Die wirkende Macht

 

Die realen Abhängigkeiten treten mit dem gegenwärtigen krisenhaften Stocken und Beschleunigen der Ressourcenströme indessen wieder grell hervor. Das “Ende der Hierarchie” [Lauterburg, Econ 1980] ist durch die neuen Formen der „lean production“, der kollektiven Führung usw. natürlich nicht gekommen. Der durchaus begrüßenswerte Zuwachs an Bewegungsvielfalt, an Spielraum innerhalb der zugeteilten Hierarchieebene, an Initiativen, die auch aufwärts gehen können und die meist verbesserte Lastenverteilung - Erscheinungen die mit dem Begriff der Heterarchie verbunden sind - bedeuten ja nicht, daß Einfluß auf die Gewinnverteilung oder die Art der produzierten Güter oder gar der Investitionen genommen werden kann. Sie bedeuten nicht, daß ein Schutz vor der Aussortierung besteht oder daß etwa neben der Auskunft auch eine Anweisung von unten nach oben gehen könnte. Im Gegenteil wirken trotz Heterarchie die hierarchiebildenden Kräfte fort und sorgen durch ständige Konzentration, durch Vermehrung der Superreichen und Armen für die Wiederherstellung und Verschärfung der Steuerungsfähigkeit.

 

         Vor allem entscheidet die Ökonomie der Verwertung darüber, ob solche angenehm zwangfreien Arbeiten fortgeführt werden können oder wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt werden müssen. Der Wissende bleibt zwar Steuermann - Entscheider / Kapitän ist der Eigner. Dieser bestimmt die Richtung, jener weiß, wie sie eingeschlagen wird. Jener ist eben trotz allen Wissens entbehrlich, wenn die Fahrt aus Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht angetreten oder vorzeitig beendet wird.

 

Immerhin ist die durch lean production usw. gewonnene Flexibilität ein gewisser Schutz gegen Veränderungen des ökonomischen Umfeldes. Das Wissen aber wird erst zum dauerhaften Schutz, wenn zu ihm das Wissensprivileg bezüglich der Ressourcensteuerung hinzutritt. Die damit gesegneten Individuen sind jedoch nicht sehr zahlreich. Womit die Hierarchie, gemessen an einem nennenswerten Einfluß auf die Ressourcenströme, wieder die Oberhand über die Heterarchie gewonnen hätte.

 

Der Funktionshierarchie wird wegen ihrer Bedeutung das folgende Hauptkapitel gewidmet. Vorab sei ihre Funktionsweise im Hinblick auf ihre hierarchische Struktur an Hand der Abb. 2 oberflächlich erläutert: so wie ein schwaches Lichtsignal über das Auge des Lokführers dessen Arm in Bewegung setzt und dieser über einen Hebeldruck den ganzen Zug bewegt, so setzt das Wort des Pharao über seine Wesire, über die Baumeister und schließlich die Handwerker tonnenschwere Steine oder das Wort des Feldherren setzt ein Heer in Bewegung. Wir sehen eine kleine Kugel (Abb. 2 c), die das Wort des Pharao symbolisieren mag, angestoßen auf die nächstgrößere prallen. Sie trifft die Ohren der Wesire, die jetzt - die nächstgrößere Kugel anstoßend - ihre Boten mit schriftlichen Anweisungen zu den Baumeistern schicken, bis zuletzt mit der Nahrungszuteilung, mit Rufen, drohen und Schlägen die Arbeiter, durch den Fall der letzten großen Kugel symbolisiert, die Steinkolosse ziehen.

 

Die Stufen der Kaskade, die in der Technik durch immer größere Energien gekennzeichnet sind, enthalten in der Gesellschaft auf dem Weg nach unten immer mehr Individuen. Dies soll ein Hauptkennzeichen der wirkenden Hierarchie sein. Wird ein Individuum nur durch ein anderes gesteuert, so daß auf den unteren Stufen nicht mehr sind als darüber, soll dies mit Dominanz, die Verkettung der Dominanzen mit Hackordnung bezeichnet werden. Hierarchie fordert also im Gegensatz zur Dominanz eine Gleichrichtung mehrerer Individuen der untergeordneten, der gesteuerten Ebenen, damit diese in gleicher Weise (oder wenigstens zum gleichen Zweck - zB der Produktion eines Autos) durch eine Anweisung von oben bewegt werden können. Sie müssen ein Signal verstehen und es ausführen können und ausführen wollen. M.a.W. Voraussetzung für die Funktionshierarchie ist eine Normung der Individuen.

 

 


 

2.0   Gemeinsame Merkmale der Hierarchie in

        verschiedenen Seinsformen

 

 

Zu hierarchischen Systemen und ihren Teilen. Einige zusätzliche Aspekte des Begriffs, vor allem die Problematik bestimmter Momente, nämlich die der “Ebenen” und der “Kanalisierung” werden in der Literatur bereits anschaulich behandelt. Bei dieser Darstellung geht es nicht darum, die Hierarchie von der physikalischen in die biologische oder von der tierischen in die menschliche Welt zu übertragen, sondern zur Verdeutlichung ihrer Struktur die Ähnlichkeit in allen Welten zu zeigen. Der Begriff wird im Fortgang des Berichts in seinen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht und gewissermaßen durch Gewöhnung geprägt. Eine Vorabdefinition mit anschließendem kommentarlosen Gebrauch mag für die Mathematik angemessen sein, wäre hier aber kaum lesbar.

 

Ein Begriff lebt hauptsächlich (wie in Buch_2 näher erläutert) durch seine Verbindungen, durch die Zusammenhänge, die er herstellt. So stellt der Begriff “Globus” u.a. den Zusammenhang zwischen Weltumsegelung und dem immer kreisförmigem Erdschatten auf dem Mond her. Beides ist nur durch eine kugelförmige Erde erklärbar. Nicht jeder dieser Zusammenhänge ist durch Definition beschreibbar, aber er wird im Laufe des Gebrauchs erfahren. Schließlich wächst der Wert eines Begriffes mit der Zahl jener Zusammenhänge und kann erst beurteilt werden, wenn diese einigermaßen bekannt geworden sind. Und bekannt werden sie, wenn der Gebrauch eine einsehbare Notwendigkeit zeigt, d.h. wenn eine Frage auftaucht, die nur durch Einsetzung dieses Begriffes geklärt werden kann.


 

2.1 Die Ebenen

 

In J. S. Nicolis, “Dynamics of Hierarchical Systems”, Springer (ISBN 0-387-13323-2), 1986, findet man unter “....Nature of Hierarchical Systems” (S. 183 und gleichlautend 209 oben) folgende brauchbare Definition: “Hierarchieebenen” (am Beispiel des biologischen Organismus) werden bestimmt durch die Zahl (ordinal), die Stellung, ihren Aufbau (“structure and complexity”) so gut wie durch den Grad des gleichsinnigen Zusammenwirkens (“coherent cooperativness”) funktionell ähnlicher Module des betrachteten Systems. ”Funktionell ähnlich” bedeutet: ein Satz von Elementen, die (durch eine Anzahl flexibler, geordneter Beziehungen miteinander verbunden) für die erfolgreiche Ausführung einer gegebenen Aktivität zusammenwirken (können).”

 

Beispiele für Ebenen werden aufsteigend von ihm angegeben: Nukleinsäuren, Proteine, einzelne Zellen, Organe und Gruppen von Organen (funktional, zB Verdauung), Individuen, Gesellschaften. Jetzt geht es um Steuerung: die Nerven bewegen Muskeln und cerebrale Cluster steuern die motorischen Nerven. (Auch noch deutlicher bei R. Riedl, “Die Ordnung des Lebendigen”, P. Parey, 1975) Wieder Nicholis, Springer 1980, S. 209: “Höhere Ebenen sind dann charakterisiert durch eine zunehmende Beteiligung cerebraler Vernetzungen (tissues) von progressiv steigender Ordnung und wachsender Komplexität (in Richtung vom Stamm zum Cortex). Sie heißen “cognitive” Ebenen und die meisten von ihnen werden, im Gegensatz zu den “somatischen”, nicht durch die Phylogenese, sondern durch Lernen errichtet und getilgt.” Die durch Lernen “konditionierte” cerebrale Ebene wandelt jetzt äußere Reize in elektrochemische Anregungen von Muskeln.

 

Das derart in dieser Ebene erworbene Verständnis gestaltet die Anregungen so, daß die Muskeln mechanische Veränderungen herbeiführen, die dem Erhalt des Organismus dienlich sind. Von den schwachen Anregungen, sprich Informationen ausgehend wird in Kaskaden steigende Energie freigesetzt, die spürbare Veränderungen der Umwelt bewirkt. Dieses Modell der Kaskade gilt in Bezug auf die Individuen auch für soziale Systeme, muß jedoch erweitert werden um den Zusatz “in gleicher Weise”, (vor “errichtet”) wenn die Ebene einer Hierarchiepyramide (bestehend aus den sie konstituierenden Individuen) gemeint ist.

 

Auf S. 207 ebd. unter der Überschrift “4.8 Entstehung neuer Hierarchieebenen” und “4.8.1 Problemstellung” wird ein sich selbst organisierendes System charakterisiert als hierarchische Struktur. Eine sehr weitgehende Behauptung, die aus Sicht dieser Arbeit aber bekräftigt werden kann. Denn alles, was im Umkreis von Autopoiese, Selbstorganisation, Ordnungsbildung, Evolution usw. geschieht, hat mit Steuerung zu tun und diese ist ohne Hierarchie weder denk- noch machbar. Ja Steuerung ist, wie mehrfach angemerkt, die Wirkweise der Hierarchie. In den genannten Fällen kommt noch die Rückkopplung hinzu, bei der die erreichten Zustände wieder als Information auf die Steuerzentren zurückwirken.

 

 

 

 

 

2.1.1Kommunikation zwischen den Ebenen

 

Nicolis untersucht die Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen, die als Anregung (“trigger”, hier natürlich “Information”) von den höheren zu den niederen geht und über Rückkopplungen der niederen kontrolliert und stabilisiert bzw. gebrochen (broken down) wird. Der Vf. verfolgt jetzt, wie viele andere Autoren, den Informationsfluß durch das System. Was fließt nun aber tatsächlich und meßbar? Vom Vorgang der Wahrnehmung über den Schall einer Anweisung oder eines Befehls bis zum Zünden von Motoren, von der Signalgebung bis zur Schleusenöffnung oder bis zum Tritt von Marschkolonnen fließt - was immer auch sonst noch hineinzudefinieren ist - in sprunghaft wachsenden Kaskaden Energie.

 

Ein Meßgerät existiert nur für Energie, nicht für Information. Es sei denn, der Empfänger kennt die Senderabsichten, zählt bei der Sendung das nicht Beabsichtigte und setzt es ins Verhältnis zum Beabsichtigten, also mißt und rechnet. Er erhält dann die Meßzahlen der Nachrichtentechnik für... ja eigentlich für Übertragungsqualitäten. Immerhin wäre das Wissen des Beabsichtigten oder die Kenntnis seiner Teile, der Signale, eine Vorform von Verständnis, weil es, existierend im Empfänger, mit der Sendung Resonanz finden kann. Resonanz dann als das subjektiver Gefühl der Übereinstimmung, das „aha, das ist ja..., das bedeutet..., da muß ich...“ z.B. bei der Wahrnehmung eines bekannten Signals. Aber erst wenn eine Reaktion stattfindet, erkennt man von außen, daß das Signal angekommen ist. Und erst, wenn die Reaktion sich als bereichserhaltend herausstellt, ist sie - vorgreifend - verstanden worden. Dann haben wir einer Information beigewohnt; wir sprechen vom Vorgang des Informiertwerdens.

 


 

Will man “Information” erklären, dann lohnt es sich, solange wie möglich in den Begriffen von dieser Welt, oder besser bei den Grundbegriffen der Empirie zu bleiben. Und das sind nun einmal “Materie” und “Energie”. Natürlich ist das nicht bis zum Ende möglich, aber wir werden feststellen, daß wir nicht in Glaubenswelten ausweichen müssen. Wir werden bei einem Begriff landen, der sowohl alltäglich weit verbreitet als auch ein Grundbegriff ist, aber leider ebeso schwierig wie “Information”, nämlich “Ordnung”.

 

 

                  2.1.2          Resonanz, Selektion

 

Der Fluß der Energie wird unter bestimmten Bedingungen, sprich bei einer bestimmten Konfiguration von Materie (z.B. als neuronalem Netz) und ihren Veränderungen (durch Resonanzen zwischen dem Gelernten und dem, was die Sinne melden) zu dem, was wir Information nennen. Es wird sich zeigen, daß die im folgenden dynamisch genannte Hierarchie zum Wesen der Information gehört und zwar in Natur, Technik und Gesellschaft. Energie als Anregung oder Trigger ist nur die Form der Einwirkung, die vom Rezipienten selektiert und zur Lösung (größerer) Energie verwendet wird. In der Technik wird durch Resonanz selektiert, indem man einen Sender wählt und nur diesen hört. Verwendungszweck des Gehörten ist dabei der Bereichsnutzen oder -erhalt, den die “Informationstheorie”, sprich Nachrichtentechnik jedoch nicht berücksichtigt. (Selektiert wird die für den Nutzen relevante Anregung, also nicht der Lärm der Lok oder der Stoß einer Weiche, sondern eben nur die viel schwächere, aber für den Erhalt des Zuges entscheidende des Signallichts oder in der Kneipe nicht das Gedränge, der Rauch, die Musik, sondern eine darin kaum wahrnehmbare Stimme... )

 

 

2.1.3Zusammenhalt oder Gemeinsamkeit

 

Da wir das Phänomen der Resonanz oder des Verständnisses im Zusammenhang mit der Hierarchie behandeln wollen, um etwas über die Bewegung von Sozietäten zu erfahren, muß die Art möglicher Gemeinsamkeiten untersucht werden.

 

Was macht nun innerhalb einer Ebene deren Sosein aus, was erlaubt es uns, Individuen als Mitglieder einer Hierarchie-Ebene anzusprechen? Simons mechanischer (“near decomposible”) Zusammenhalt der Elemente einer Schicht ergibt sich aus der Schwierigkeit, dem „Enthaltensein“ einen physikalischen Sinn zu geben. Fallen nämlich die Wände der chinesischen Kästchen weg, weil sie als symbolisch entlarvt wurden, dann muß das „Enthaltensein“ durch etwas anderes dargestellt werden. Man wählte den „Zusammenhalt“, war aber damit nicht viel weiter gekommen. Der Zusammenhalt kann zwar je nach Stärke alle Individuen in die Richtung mitziehen, in die sich eine aktive Gruppe oder die Mehrheit bewegt, erklärt aber nicht die Steuerung der ganzen durch eine übergeordnete Schicht. (Es muß ja schon die Mehrheit oder die Aktivistengruppe irgendwohin ziehen, damit das Ganze sich dorthin bewegt; wie kommt sie dazu?)

 

Man sieht, die gesteuerte Bewegung ist mit der elastischen Bindung nicht zu erklären. Diese Schwierigkeit entfällt, wenn man die dynamische Form der Hierarchie betrachtet. Dann ist kein Zusammenhalt nötig, sondern nur die gleiche Reaktion auf gleiche Signale. Die Individuen bedürfen jetzt keines Zusammenhalts, sondern einer gemeinsamen Eigenschaft / Reaktionsweise. In der Gesellschaft wäre das durch die Norm erreicht. Logisch jedenfalls kann “Zusammenhalt” und “Ähnlichkeit”, (in der waltenden Hierarchie “Ähnlichkeit des Verhaltens”) nicht miteinander verbunden oder auseinander gewonnen werden.

 

Historisch hat sich die Norm immer mehr vom Zusammenhalt (zB durch die Sklavenkette) in Richtung auf das Verstehen (der Konstruktionsanweisung), von der Stockfurcht zur Existenzangst des freien Mitarbeiters, vom körperlichen Schmerz zum Vermeiden von Verlust hin entwickelt. Die Steuerung verlangt nicht mehr bestimmte genau vorgeschriebene Handlungen im Gleichtakt, sondern eine Folge von Tätigkeiten, die einem gemeinsamen Ziel oder Produkt dienen und die sich sehr mittelbar und sehr spät als falsch oder richtig erweisen. Die Leine der Norm wird länger, aber nicht schwächer. Dies wurde Neulingen im Kapitalismus zB nach der Wende (generell: in einem Organisationsgrad, der eine höhere relative Dichte meistert) schmerzlich bewußt, wenn sie zunächst keine Beschränkungen spüren, dann aber in der Schuldenfalle oder im Knast landen. Die Kette oder Leine zwischen den Normteilen / den Individuen kann durch die Norm ersetzt werden. Damit erkennen wir den Zusammenhalt zwar als Stütze, nicht aber als Voraussetzung der funktionierenden Hierarchie.

 

 

2.2Die Kanalisierung nach Pattee

 

In dem dritten Aufsatz "Physikalische Basis und Ursprung hierarchischer Steuerung" ([6] S. 73) untersucht Pattee die "constraints", (Einschränkungen, Begrenzungen) denen die Subsysteme unterliegen, wenn sie Bestandteile von übergeordneten Bereichen bilden. Er sieht diese als Einschränkungen der Freiheitsgrade, die nötig sind, um ihre Struktur als eben dieses Subsystem zu gewährleisten. Dies dürfte unmittelbar einleuchten, da die Subsysteme zum Wenigsten schon von ihren Nachbarn begrenzt werden. Pattee kommt noch einen Schritt weiter, indem er ihre Funktion erwähnt. "Hierarchische Steuerung entsteht bei einem Grad interner Kanalisierung, der die Elemente in ein kollektives vereinfachtes Verhalten zwingt, der (dessen Grad) unabhängig ist von bestimmten Details ihres (sonst üblichen) Verhaltens." ([Hierarchy Theorie, New York 1973] S. 93) Der eben behandelte “Zusammenhalt” als eine Eigenschaft der Normteile wird durch den Begriff der Kanalisierung als äußerer oder innerer Zwang ergänzt. Ist der innere Zwang, beispielsweise durch Dressur, Wissen, Übung stark genug geworden, kann mehr und mehr auf äußere Beschränkungen verzichtet werden. Der Weg der Wirtschaftsgeschichte führte derart tatsächlich von der Sklavenkette zum freien Mitarbeiter.

 

Norm ist für das Individuum psychologisch der Freiheitsverlust im Tausch gegen (ideologische) Sicherheit und die Möglichkeit, sich durch Gleichrichtung als Bereich oder als eine Einheit zu bewegen. Er kann mit gesammelten Kräften in eine Richtung treiben und diese “synergetisch” noch verstärken. Dabei wirkt die Norm von innen und das Verhalten, ja schon die Gegenwart der anderen von außen (s. “Gleichrichtung / Kanalisierung durch Nähe”, folgendes Kap.) kanalisierend auf das Individuum; beides verstärkt sich im Laufe der (erfolgreichen) Aktion gegenseitig.

 

 

 

                  2.2.1          Kanalisierung durch Nähe

 

Die primitivste und ursprünglichste Form der “Kanalisierung durch Nähe” beginnt bereits bei zwei Individuen physisch zu wirken durch die Tatsache, daß der eine nicht den Raum des anderen einnehmen kann. Das völlig vereinzelte Individuum kann sich in jede Richtung bewegen, das vergesellschaftete zwar weitgehend auch, aber zumindest nicht dorthin, wo das andere ist. Von diesem rein physikalischen Punkt ausgehend spannt sich durch Vermehrung der Individuen das riesige Feld der Beziehungen und ihrer rituellen Bewältigung und schließlich der gesetzlichen Regelung auf. Die Kanalisierung wirkt weiter bei der Vergrößerung der Gruppe und erhält dynamische Qualität durch die sog. Synergieeffekte z.B. durch Stampede oder Panik. Sie sind die stringentesten Formen der Kanalisierung durch Nähe; bei ihnen gibt es nur eine Bewegungsrichtung für alle Teilnehmer. Hier schränkt der Druck die Freiheit ein; sie kann aber auch - nicht zu vergessen - freiwillig zugunsten von Ordnung und innerer/geistiger Sicherheit aufgegeben werden.

 

 

                  2.2.2          Kanalisierung durch Ähnlichkeit

 

Zur Kanalisierung mögen auch noch die geistigen Stampeden gerechnet werden, die auf den weiter unten (5.0 Psychologie der Hierarchie) behandelten allseits bekannten Freuden der Zustimmung oder den Unfreundlichkeiten der Abweichung beruhen. Dazu kommen die gesamten Konsens-, Gewohnheits- und Erziehungsschranken, die mit dafür sorgen, daß ein Impuls eine gemeinsame Richtung erhält. Gemeinsame Emotionen erleichtern die Gleichrichtung und potenzieren die Kraft einer einsetzenden Bewegung. Noch stärker können zwar die Emotionen sein, die kreuz und quer oder gegeneinander laufen, aber sie bringen keine gemeinsame Bewegung hervor. Sie schwächen zwar die Norm, können aber durch Spontaneität und Ideenreichtum auch zur Stärkung - fraglich? - nun, sagen wir Verschönerung des Bereichs beitragen.

 

Daß der eine nicht den Raum des anderen einnehmen kann, ist nun der geringste der Zwänge, der aus dem Zusammensein resultiert. Gering, weil es eben noch Alternativen gibt, nämlich die Plätze, die der andere ringsum nicht einnimmt. (Es sei denn, ein Versteck beispielsweise reicht nur für eine Person.) Sie werden allmählich ergänzt durch immer umfangreicher werdende Verhaltenscodices, die auf dem Weg in die Unübersichtlichkeit von Zeit zu Zeit revolutionär außer Kraft gesetzt werden.

 

 

 

                  2.2.3          Kanalisierung durch Einordnung

 

Die wachsende Sozietät verändert und steigert Maß und Form der Kanalisierungen. Man vergegenwärtige sich die Spannungen und Rituale der ersten Annäherung und des Bekanntmachens in allen Kulturen (oder gar unter Tieren), um eine Ahnung von dem Maß an Selbstkanalisierung zu bekommen, das für ein Zusammenleben bereits von zwei Personen nötig ist. Wächst die Gruppe darüber hinaus, entstehen überproportional viele Beziehungsbande, die nur durch Hierarchisierung, Formalisierung und Ritualisierung zu bewältigen sind. Das jedoch nicht nur als ein von oben verordneter Zwang, sondern als eine durch gnadenlose Selektion übriggelassene Bestandsvoraussetzung der Gruppe. D.h. die Menschen wurden nicht gefragt, ob sie sich organisieren wollten - die Unorganisierten gingen einfach unter oder verschwanden innerhalb organisierter Bereiche. Dabei brauchte das Leben des Individuums durchaus nicht tangiert zu werden. War die Norm schwach und die Bedrohung gering, hieß es „lieber rot als tot“; war die Norm stark, lautete der Schlachtruf „lieber tot als rot, ...als Sklave, ...als ungläubig usw.“.

 

Historisch mag zunächst nach beendetem Rangkampf die Einordnung in Hierarchie und Hackordnung erfolgt sein. Das Individuum mußte sein Verhalten der ihm zugewiesenen oder der von ihm erkämpften Stellung anpassen. Dazu kamen später Arbeitsteilung, Vermögen, Beruf, Bildung, Wohnort... also eine ständig wachsende Zahl von Begrenzungen, die oft in persönlichen oder gesellschaftlichen Explosionen wieder aufgesprengt wurden.

 

 

2.3Selbstkanalisierung, historisch

 

Äußerer Zwang und innerer Wille gehen ständig und unmerklich ineinander über. Sogar die Drohung eines Gewehrs erfordert Einsicht in die Gefahr und aus dieser Einsicht heraus den inneren Willen, d.h. die eigene Anstrengung sie abzuwenden. Will sagen, die Grenze zwischen Zwang und Wollen ist überhaupt nicht festzulegen. Jede Motivation ist eine Mischung aus äußerem Zwang und innerem Wollen. Jede Einsicht hat eine Notwendigkeit, jede Furcht ihre Hoffnung. Die Motive sind kaum zu entmischen. Eher sind schon die Gefühle zu benennen, die mit seinen Momenten verbunden sind. Zwang wird von der Angst, Wollen von der Zuversicht geleitet. Ganz rein dürfte keines der Gefühle vorkommen. Jedenfalls muß ich lernen welche Folgen bestimmte Erscheinungen haben und das dadurch erworbene Wissen zur Selbstkanalisierung verwenden.

 

 

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                                     Aussortiert:

 

 

Hier und im Folgenden sollen nicht Menschen, Tiere, Fixsterne oder Zellhaufen und Gesellschaften miteinander verglichen werden; es geht darum, die Universalität dessen, was wir Hierarchie nennen, in den verschiedensten Seinsformen aufzuweisen. Gesellschaftlich ist sie der Rahmen, der alle Bilder aufspannt. Es war schon angedeutet worden, wie eng Hierarchie und Information miteinander verwoben sind. Da Information funktionierende Hierarchie ist, und da umgekehrt hierarchische Struktur die Voraussetzung für Information ist, wird im Kap. 3 geklärt, “was Information eigentlich ist”. Nichts kann Aufbau und Funktion von Hierarchie besser verdeutlichen. Daneben ergibt sich ein Eindruck von der Funktion und Stabilität von Weltbildern, die Voraussetzung für die Steuerbarkeit von Individuen (-Gruppen) sind. Die Steuerbarkeit wiederum ist eine Voraussetzung gemeinsamen Handelns, das der hierarchischen Struktur entspringt.

 

 

Betrachtungen über Erde, Mensch und Gesellschaft aus der Sicht

eines Außerirdischen:

 

 

1.0    Prolog, die Perspektive

 

1.1    Die Biosphäre

 

Nehmen wir an, jemand hätte seit fünf Millionen Jahren die Erde so von außen betrachtet wie es etwa ein Erderkundungssatellit tut. Dies wäre wahrscheinlich eine etwas eintönige Angelegenheit gewesen; abgesehen von Vulkanausbrüchen und einigen langsamen Ver- und Enteisungen hätte er wenig an Veränderungen feststellen können. Die Vegetation hätte ihren jahreszeitlichen Zyklus durchgemacht, was sich gerade als ein leises Flimmern dargestellt hätte. Durch Zeitraffung wären ihm die großräumigen Verschiebungen von Wald-, Eis- und Wüstengrenzen im Zuge von Klima-Änderungen aufgefallen.

 

Ein wenig schläfrig geworden, könnte der Beobachter den Eintritt in die Gegenwart versäumt haben, wären da nicht schlagartig, d.h. innerhalb weniger Jahrhunderte die Vegetationszonen geschrumpft und schorfige Flecken in Gestalt unserer Städte auf dem Gesicht der Erde erschienen.

 

In der Zeitlupe, der Beobachter mag sie zur Vergewisserung eingeschaltet haben, glimmten diese Flecken gelegentlich in Rot oder Gelb. Dieses kaum wahrnehmbare Spiel, das wir Großbrand, Krieg und Verbrauch nannten, leitete eine Phase der Veränderungen ein, die in ihrer Geschwindigkeit nur mit denen vergleichbar waren, die an der Wende von der Kreide zum Tertiär stattfanden. Innerhalb weniger Jahrzehnte verschwand die Hälfte der bewaldeten Fläche des gesamten Planeten, während die der Wüsten sich verdoppelte und die schorfigen Entzündungen sich verzehnfachten. In der Abbildung unten (“Einfluß des Menschen...”) sind die Grade der Veränderungen der Biosphäre abzulesen, wobei erschwerend zu berücksichtigen ist, daß davon fast nur die nutz- und bewohnbaren Flächen betroffen sind.

 

 


Zu zeigen ist, daß diese Erscheinungen aufs Strikteste verkoppelt sind mit dem Gegenstand der zwei folgenden Absätze, nämlich mit Individuum und Gesellschaft - weniger über Gut und Böse, wie Moralisten uns lehren, sondern viel mehr über den Organisationsgrad. Gerade dessen Zwänge sind so streng, daß sie zur Empörung jener Moralisten völlig unabhängig von der Bewertung ihr Werk tun. Da die Menschheit trotz milliardenfach vorhandener Individual-Intelligenz ihre Nische wie ein Schimmelrasen traktiert, kann kein von Einsicht bestimmter Wille für den Verderb verantwortlich gemacht werden. Suchen wir einmal in der Art der Vergesellschaftung, in der Struktur nach den Gesetzen solcher Bewegung. Finden wir heraus, warum Destruktion auch ohne einen destruktiven Willen stattfindet.

 

Bevor wir uns auf ausführliche Definitionen von Gut und Böse einlassen, erklären wir rundheraus, daß es ein frommer Unfug ist, die Besserung der Welt von guter Erziehung und vertrauensbildenden Maßnahmen zu erwarten. Die schwarzen Löcher der Megastädte, Konzentrations- und Flüchtlingslager, Krieg, Mord und Folter verschwinden nur, wenn die Menschen eine Wahl haben. Die Wahlmöglichkeit wird von der Verdichtung eingeschränkt, nicht nur weil sie - die Verdichtung - Räume okkupiert, sondern vor allem, weil sie den Organisationsgrad auf ein für Menschen unerträgliches Maß treibt.

 

Die Zusammenhänge zwischen Organisationsgrad und Mensch, Charakter (-maske) und Belastung sind von der Psycho-Soziologie eingehend untersucht worden, jedoch immer mit dem Blick auf Ausbeutung und Unterdrückung, so als würde mit dem Ende der Unterdrückung auch die Notwendigkeit der Organisation entfallen. Oder, wenn sie denn sein müßte, wäre sie wenigstens schmerzfrei und gerecht.

 

1.2    Das Individuum

 

Obwohl das unter 1.0 Geschilderte im Zeitverständnis unseres Kamera- oder vielleicht Gottes-Auges mit der Geschwindigkeit eines echten “impact” vor sich ging, blieb ihm nicht verborgen, daß es sich um biogenetische Ereignisse handelte. Wir müssen den Beobachter in Abkehr von spinozistischer Majestät jetzt mit dem christlichen Interesse für das Individuelle ausstatten. Die also für die Ereignisse verantwortlichen Individuen, denen jenes Auge bekanntlich ins Herz blicken konnte, hatten nun aber (sehr mehrheitlich) keinerlei Intentionen, die auf diese lebensfeinlichen Veränderungen gerichtet waren.

 

Im Gegenteil, die Schöpfung und der Nächste spiegelten sich in ihnen als Gefühlswelten von großer Vielfalt und Intensität. Richtung und Stärke der Emotionen gingen jedoch so durcheinander, daß kein Zusammenhang mit den geschilderten Veränderungen zu erkennen war. Was geschah, hatte keine Ähnlichkeit mit dem, was das Fühlen eines Individuums mit seinem Tun verbindet. Will sagen, ein gutwilliger Mensch mag in privaten Zusammenhängen auch Gutes, d.h. seiner Umgebung Angenehmes bewirken - in gesellschaftlichen Zusammenhängen kann dasselbe Tun Schmerz und Unglück verbreiten. Gesellschaftlich wirksam sind nur Gefühle und Bedürfnisse, die den Organisationsgrad zB i.S. hierarchischer Steuerungsfähigkeit oder Normstärkung bzw. -schwächung beeinflussen. Also eher der Hunger als das Eßvergnügen, eher die Dressur als die Moral, eher der Haß als die Liebe. Angesichts des Reichtums jener menschlichen Gefühle, deren künstlerische Spiegelung ganze Bibliotheken füllte, ein schwer zu akzeptierender Gedanke. Anscheinsvermutung, Zivilisation und Wille verlangen, daß die Schmerzen uns von Bösen und die Annehmlichkeiten von Guten bereitet werden.

 

Wir haben also durchaus ein gewisses Spektrum an Gefühlen und Einstellungen, die den Lauf der Welt beeinflussen können. Sie tun dies aber nur, wenn sie durch den Organisationsgrad eine wirksame Form erhalten haben. Ansonsten bleibt Resignation und Verzweiflung: “Man kann ja doch nichts machen.” Die Bemerkung ist nicht überflüssig, weil es starke gesellschaftstheoretische Strömungen gab und gibt, die sich ausschließlich auf die Struktur und andere, die sich ausschließlich auf die Psyche der Individuen beziehen. Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß selten geschieht, was die Lenker wollen, auch das nicht, was die Gelenkten mehrheitlich anstreben, sondern das, was auf Grund der Konstitution des Bereichs und seiner Teile bewegt werden kann. Die Macht der Struktur, die sich meist hinter den (zweifellos vorhandenen) Absichten der Lenker verbirgt, offenbart sich schon in der Tatsache, daß das Ganze / der Bereich / die Gesellschaft sowohl gegen den Willen der Mehrheit agieren als auch dem Willen der Lenker entgleiten kann.

 

Auffällig aber war für unseren außerirdischen Beobachter ein Zusammenhang zwischen der Zahl der Individuen und dem Grade der Verwüstung. Er (der Zusammenhang) bestand allerdings nicht in einer linearen Beziehung, sondern wirkte so, daß die exponentielle Zunahme der Individuenzahl nochmals von einer Beschleunigung der Veränderungen begleitet war. Diese gestatteten es, Vorkehrungen, auch bauliche, zu treffen, welche wiederum die Kräfte steigerten. Die aber, jetzt als technischer Organisationsgrad, zu ihrem Erhalt gleichzeitig weitere Kräfte oder Energien erforderten - eine Spirale, die nicht zu enden schien. Zusammensetzung und Turbulenz der Atmosphäre sowie Verderb von Wasser und Grund gaben deutliche Kunde. Auch das lag, dem Tiefblickenden leicht erschlossen, keineswegs in der Absicht der Einzelnen. So blieb dem Auge, das vielleicht zu allem den Anstoß gegeben, oder besser nur uns bleibt das soziologische Rätsel zu lösen, wie denn ein Ganzes bewirken kann, was von keinem oder nur den wenigsten seiner Teile gewollt war. Wir kommen auf die Hierarchie.

 

 


 

1.3    Die Gesellschaft, nur in Stichworten :

 

Die Welt zerfällt in Arm und Reich. Die Welt wächst zusammen. Mit e-business sind Sie sekundenschnell in Tokio präsent. Spärliche Nachrichten aus dem Sahel. Wir treten ein in die Wissensgesellschaft; Boom der Kommunikationsindustrie. Besorgnis über steigendes Analphabetentum.

 

In USA kein Auskommen ohne Zweitjob. Kaugummibehälter, Leder, handgenäht, das Stück für dreihundert Mark als praktisches Geschenk erworben. Unternehmenswerte in zehn Jahren verdoppelt. Kinderarmut in Deutschland nimmt zu. Momentanes Credo der Politik: „Der Wohlstand wächst, wenn wir den Gürtel enger schnallen...“

 

Friedensverhandlungen weltweit ohne Pause. Gewalt an Schulen nicht zu stoppen; Opfer erhalten Gesprächshilfen. UNO appelliert an Bürgerkriegsparteien. Sechs Milliarden Menschen auf der Erde.

 

Das Gemeldete findet statt in einer Welt. Was ist dann wahr? Vereinigung oder Zerfall, Hetze oder Paralyse, Armut oder Wohlstand? Gibt es ein Schema, in dem diese Tatsachen sich vereinbaren lassen?

 

Wir versuchen, sie im Raster der Hierarchie anzuordnen. Wir finden dann, daß die obigen Aussagen zur gleichen Zeit als wahr bestehen können in den verschiedenen Ebenen einer Hierarchiepyramide. Diese Ebenen verschiedener Steuervollmacht und Ressourcenverfügbarkeit sind untereinander derart separiert, daß in der einen eine Aussage und in der anderen ihr Gegenteil gelten kann. So kann man von “wachsendem Wohlstand” im Zusammenhang mit der Globalisierung reden, wenn man die oberen Zehntausend meint und man kann nach den bisherigen Erfahrungen von wachsender Bedrängnis reden, wenn man die Schichten mit geringem Einkommen meint.

 

Je größer die Bereiche werden, desto weniger bestimmen Bedarf und Wünsche der Individuen den Lauf der Welt. Statt ihrer übernimmt ein Wechselspiel von Dichte, Organisationsgrad und Ressourcenstrom das Regiment. Die Gesellschaft agiert, zwar durch das Individuum, aber wie das häufige Gefühl der Machtlosigkeit uns verrät, nur mit einem winzigen Ausschnitt aller möglichen individuellen Strebungen. Bedarf und Wünsche, Moral und Religion haben nur einen Einfluß, wenn sie so beschaffen sind, daß sie als Norm eine Gleichrichtung, eine Bündelung von Kräften und damit eine hierarchische Steuerung gestatten. Wünsche oder Notwendigkeiten ohne Norm-Eignung spielen kaum eine Rolle für gesellschaftliche Bewegungen. Die Mythologie möchte das nicht wahrhaben; sie macht die persönlichsten Emotionen für den Lauf der Geschichte verantwortlich. Wenigstens aber schreibt sie sie mit einer Ahnung von der Macht der Hierarchie den Königen und den Göttern zu.

 

Das Reden über den aktuellen Film “Der Untergang” gibt ein Beispiel von der Verkennung der strukturellen Momente. Natürlich war monströs, was Hitler anschob, aber er blieb dabei ein ohne Zweifel ein Mensch, er wurde nicht zum Gott oder zum Teufel. M.a.W. es war nicht seine Größe, sondern es waren seine Defekte, die ihn zur Galionsfigur jener Apokalypse machten. Ganz hat ganz richtig beobachtet, daß Hitler nur fühlte was er sah, während ihm für das unsichtbare, das ferne Elend jede Wahrnehmung fehlte. Es war nicht seine Größe, die ihm Macht über die Massen verlieh, sondern es war seine Durchschnittlichkeit, allerdings seine extreme Durchschnittlichkeit. D.h. er machte den Stumpfsinn zum Katechismus, er ließ die Sau des Spießers heraus, indem er alle zivilisatorischenBremsklötze wegriß. Die Macht, die hierin ihren Ursprung hatte, wurde Wirklichkeit durch die Gesetze der Hierarchie. Das Zusammenwirken von Urbedürfnissen, Forderungen und Strukturen vertausendfachten den Willen des Einzelnen und endlich das Elend seiner Erfüllung. Dieses Zusammenwirken nachzuverfolgen und die Strukturen bloßzulegen, die es ermöglichten, muß uns mehr interessieren als das irrsinnige Geschrei eines Führers. Immerhin bestand seine Wirkung darin, die Welt soweit zu reduzieren, daß der Rest, gewissermaßen ungestört - als Gewißheit stehen blieb.

 

Und die Produktion von Gewißheiten bringt den Demagogen in das System der Kausalitäten von Individuum und Gesellschaft zurück. Denn sobald die Gewißheiten gemeinsam werden, besteht die Möglichkeit, Gruppen zu lenken. Damit geht die individuelle psychische Verfaßtheit über in die hierarchische Struktur und diese stellt gesellschaftliche Wirksamkeit her. Der Führer bewegt die Massen.